Donnerstag, 31. Mai 2012

Mittwoch, 30. Mai 2012: Ich bin dann mal weg - auf Impressionistenpilgerfahrt

Am Unterlauf der Seine. Ein Wirtschaftsweg mit langer Geschichten und vielen Schleifen; wir überschauen ihn, nicht unbelehrt, von einem Panoramapunkt in einem nichtssagenden Örtchen an der route nationale, und bewundern die alte Fachwerkmühle von Vernon, die malerisch und fotogen auf einem alten Brückenstumpf neben einer eigentlich viel malerischeren Schlossfestung liegt, von wo aus der Wasserwirtschaftsweg früher wohl nicht nur mit Argusaugen, sondern auch mit schwerem Geschütz kontrolliert wurde.

Giverny. Wenn dieses Dorf in China läge, wäre es längst in "Claude-Monet-Stadt" umbenannt worden.

Fondation Claude Monet. Ein herrschaftliches Haus mit recht farbigen Zimmern (jedes in seiner eigenen), einer (Überraschung!) hervorragenden Sammlung japanischer Farbdrucke (?), einem ausgewählt-edelbunten Garten, Federvieh und dem berühmten Seerosenteich, an dem dicke Frösche ein Konzert geben.

Musée des impressionistes in Giverny. Meine größte Enttäuschung: es gibt gar keine Dauerausstellung, sondern nur die bestimmt hochkarätige Ausstellung "Der ewige Frühling" (L'éternel printemps) mit Werken von Maurice Denis, der in den 1890er Jahren in einer überwiegend rosa-grün-bräun-scheußlich gehaltenen Palette für meinen Geschmack furchtbare Gemälde in Jugendstilformensprache gepinselt hat - am witzigsten war noch die Dame im Tarnoberteil vor dem großen Ausstellungsplakat am Eingang.

Château Gaillard in Les Andelys. Das Monument Historique, das aus vergleichsweise luftiger Höhe diverse Seineschleifen strategisch überschaut, hat natürlich gemäß staatlicher Standardöffnungszeit längst zu, als wir ankommen - mit dramatischem Regenhimmel und ebenso dramatischen Ruinenwänden dank Teilschleifung bleibe ich hin- und hergerissen zwischen Recht-der-ersten-Nacht-Schauder und Botanikerglück angesichts der zahlreich vorkommenden Pyramidenragwurz(?)-Orchideen.

Dienstag, 29. Mai 2012

Dienstag, 29. Mai 2012: Von hier nach da - zu Fuß unterwegs in der Altstadt

Tour Jeanne d'Arc. In den Straßenzügen, die zwischen Morbidität und Bürgerstolz changieren, trifft man auf jede Menge kreative und engagierte Existenzen, die sich in Ladenlokalen ausdrücken - und ganz plötzlich auf den einzigen Rest des mittelalterlichen Schlosses: Rapunzel, lass dein Haar herunter!

St-Ouen. Ein großer, ehemals benediktinischer Abteikomplex mit riesengroßer, lichtdurchfluteter, ansonsten aber weitgehend entseelter Kirche, umgeben von einem für die Mittagspause sehr beliebten Park mit allerhand Eklektischem.

Aître St-Maclou. Der von einer geschlossenen zweistöckigen Fachwerkfront umgebene ehemalige Pestfriedhof mit Knochen-und-Schädelschnitzerei an den Balken bietet eine einmalige Atmosphäre - heiter (!) und friedvoll, wenn da nur nicht die zahlreichen Schulklassen wären …

Kathedrale Notre-Dame. Fast so groß wie St-Ouen, weniger entseelt, aber dafür irgendwie langweiliger trotz Rollo, Wilhelm Langschwert und Löwenherzens Herz - mehr Staunen und Vergnügen bescheren die Außenansichten von allerlei Seiten, bevor man sie sich aus Monets Augen und Pinsel ansieht.

Pfingstmontag, 28. Mai 2012: Nach Rouen

Unser Urlaub führt uns dieses Jahr in die Normandie. Drei Wochen! Und damit das Tagebuchschreiben nicht in zuviel Arbeit ausartet - ich will mich schließlich erholen -, habe ich beschlossen, ein neues Format auszuprobieren. Überhaupt kein Tagebuch ist nämlich für mich auch keine rechte Alternative. Es soll etwas werden zwischen Bloggen und Twittern, zwischen Kleist'scher Prosa und japanischem Haiku - weniger beschreibend, mehr destillierend (wenn's denn gelingt, sicher gar nicht so leicht!): ein Satz je Objekt der Besichtigung. Es braucht auch kein grammatikalisch vollständiger Satz zu sein. Soweit die Spielregeln.

Auf der Autobahn immer westwärts, urlaubswärts: la France. In Rouen, einer jungen Stadt (den Leuten nach zu urteilen, die auf den Straßen unterwegs sind), geht man auf wenigen hundert Metern Achterbahn zwischen altem gotischen Glanz, Bürgerherrlichkeit mit wohlrestaurierten Fachwerkbauten, 1970er Höhenflügen in Form der Kirche Jeanne d'Arc, deren Betonhülle an die Oper von Sydney und an Tempel im Minangkabau-Stil denken lässt, und desolaten Ecken noch in der Fußgängerzone, wo "Menschen mit Migrationshintergrund" ein tristes, von Gewalttätigkeit bedrohtes Leben führen.