Sonntag, 25. September 2011

Freitag, 23. September 2011: Der letzte Tag - Futura

Unser letzter Tag beginnt wieder azzurro - wie wohl Wetter und Temperaturen in Köln sind? Wenigstens wird es da nicht so viele Mücken geben. - Noch einmal den leckeren Cappuccino vom ansonsten immer gleich langweiligen Frühstücksbuffet genießen, Sachen zusammenpacken, auschecken (sieht komisch aus), dabei die "City Tax" bezahlen: 4 € pro Person und Tag, schluck - aber nach 5 Tagen gedeckelt. Je weniger Zeit man mitbringt, umso mehr wird man (relativ) zur Kasse gebeten … ist ja mit dem Museum Pass und dem Chorus Pass genau so.

Wir deponieren die Koffer im Hotel und machen uns auf Richtung Santa Maria del Giglio. Obwohl wir gefühlt mindestens 30 Kirchen besichtigt haben, sind zu meiner Überraschung von den 20, zu denen uns der Chorus Pass berechtigt, nur 7 "abgearbeitet" - diese hier schon mitgezählt. Sie beherbergt den einzigen Rubens in Venedig: Maria mit ihrem Kinde und dem etwa gleich alten Johannes dem Täufer - dass nun aber auch die Kinder schon sooo viel Speck auf den Rippen haben! Das ist doch ungesund! Nicht weit davon hängt ein ausnahmsweise völlig unchristliches Bild: Odysseus, vom Hund Argus wiedererkannt. Wusste gar nicht, dass das ein Hund war. Hatte mir wegen der Augen eher einen Adler vorgestellt - oder rührt der Ausdruck vielleicht von einem groben Missverständnis her? Leider ist nicht überliefert, wie das nun ausgerechnet hier in die Sakristei kommt - oder war das, noch abwegiger, eine Seitenkapelle?

Dann kommen wir doch noch zu unserer Gondelfahrt, und das auch noch supergünstig: Der Traghetto hier wird um diese Uhrzeit bedient, und für 1 Euro nehmen uns die beiden Gondolieri sogar beide mit. Eine ganz schön schwankende Angelegenheit ist das, und ein ziemliches Verkehrsgewühl auf dem Canal Grande auch. Jedenfalls kommen wir so ziemlich schnell auf die andere Seite und können jetzt noch Santa Maria della Salute besichtigen. (Bei mir heißt sie, ich erwähnte es wohl schon, "delle volute", weil sie diese supertypischen lakritzschneckenförmigen Verzierungen, Voluten eben, hat - nur nicht so schwarz, sondern im gleichen fast weißen Stein wie der Rest dieser berühmten Barockkirche des Architekten Baldassare Longhena [der übrigens auch eine der Synagogen ausgestattet hat].) Das ist diese Kirche, die garantiert jeder von irgendeinem Venedigbild kennt: Wenn nämlich nicht der Dogenpalast, die Seufzerbrücke oder der Markusplatz drauf ist, dann dieses groß geratene Cremetörtchen direkt am Canal Grande. Es ist übrigens, wie Palladios Erlöserkirche, eine Dankesgabe für das Ende einer weiteren Pestepidemie. - Es handelt sich um einen Zentralbau mit einem angebauten Chorstück, das heute allein für den Gottesdienst ausreicht. Prachtstück ist eine Madonnenikone. Zur Innenausstattung gehört auch ein Tizian: Die Ausschüttung des heiligen Geistes, in einer der Seitenkapellen im Umgang um den großen freien Raum unter der mächtigen Kuppel, dessen Freiheit einen unverstellten Blick auf den schönen dreifarbigen Marmorfußboden erlaubt. - Mit grimmigem Rasseln eines schlossgespenstwürdigen Schlüsselbundes werden wir um viertel nach zwölf aus der heiligen Halle vertrieben - na sowas, die machen hier über Mittag zu, eigentlich schon ab zwölf!

Wir wollen noch die Ca' Rezzonico besuchen, einen weiteren zum Museum umfunktionierten Prachtpalazzo am Canal Grande - ein städtisches Museum und daher schon mitbezahlt. Außer dem Glas- und dem Spitzenmuseum, die auf den Insel Mu- bzw. Burano liegen, hätten wir dann alles "abgearbeitet", mit Ausnahme der Casa Goldoni, die an den berühmten italienischen Komödienschreiber erinnert - das muss ja auch nicht, vor allem, wenn man leider kein Italienisch kann. Aber zu Biennale-Zeiten liegen immer noch Ablenkungen am Wegesrand, in diesem konkreten Fall die Futura-Ausstellung in der Abtei San Grigorio (oder so ähnlich), die gleich neben der Voluten-Maria liegt. Die Eingangstür steht offen, und man steht gleich in einem Kreuzgang, der angefüllt ist mit den unterschiedlichsten Werken. "From Asia to the World", heißt der Untertitel der Ausstellung. Allerdings kommen nicht alle Künstler aus Asien - aber die Nicht-Asiaten leben und arbeiten vielleicht dort - keine Ahnung, ist aber auch egal. Jedenfalls macht die Ausstellung wirklich Spaß - jede Menge Ideen, und nicht NUR Konzept. Burkhards Lieblingsstück ist der Ammonit aus rostigem Spezialstahl, dessen schneckenförmig zusammengedrehte Stränge in Form von gotischen Maßwerkfenstern ausgeschnitten sind. Ich wüsste gar nicht zu sagen, was hier mein Lieblingsstück wäre. Dieser alte Kreuzgang, angefüllt mit so vielfältigen Werken, ist wahrscheinlich als Gesamtkunstwerk so schön. Ein Schatzkästchen zum Stöbern.

Danach ist es endgültig klar, dass wir die ganz nahe gelegene Peggy-Guggenheim-Sammlung nicht besuchen: moderne Kunst soeben schon gehabt, Zeitvorrat schon ziemlich angeknabbert, Anfall von akutem Geiz - wir brauchen jetzt erst einmal noch eine kleine Pause und trinken ein letztes Gingerino. Ziemlich problemlos finden wir danach zur Ca' Rezzonico, die dadurch auffällt, dass die Angestellten da alle recht freundlich sind - deutlich freundlicher als in den anderen MuVe. Es gibt unendlich viele Bilder in den mehr oder weniger original ausgestatteten Räumen eines venezianischen Palazzo, hier noch Schnörkel, da noch Goldornamente, dort noch ein Deckengemälde oder besser gleich ein ganzer Zyklus. Mir ist ein mit Elfenbeinintarsien reich geschmücktes Cembalo besonders in Erinnerung geblieben, vielleicht weil ich anderswo gar keine Instrumente gesehen habe, und auch eine Chinoiserie-Tür. Die stammte wohl aus den Zeiten, als die Leute in Europa noch glaubten, China sei so eine Art Paradies und alle Chinesen glückselig. Für den Dialog zwischen alter und neuer Kunst sorgen hier "lasergeschnittene" Steinköpfe aus interessanten Materialien: kein klassischer Marmor, sondern zum Teil recht heftig gemusterte und vermutlich bei herkömmlicher Bearbeitung gar nicht für die Bildhauerei geeignete Steine und Mineralien mit Adern und Hohlräumen. Oft ist die Oberfläche auch nicht glatt, sondern geriffelt oder extra gestaltet, z. B. wie bei einem Brokatmuster. - Durch die Pinakothek im ziemlich niedrigen vierten Stockwerk (ital. Piano, trotzdem - Gruß aus Kalau, hatte ich in diesem Urlaub noch gar nicht! - ganz ohne Musik, denn das kommt von Plan(o) = Ebene; bei den Italienern geraten schonmal i und l durcheinander, s. a. Piazza = Platz) fliegen wir dann nur noch durch. Sie gestaltet sich fast labyrinthisch, und hier hängt ein Bild voll mit rosigem nacktem Fleisch neben dem anderen, gelegentlich von Heiligen und frommen Büßern unterbrochen (wobei Heilige auch schon mal gern mit - dann aber nicht ganz so viel - rosigem Fleisch dargestellt sind, die hatten nicht immer genug Stoff, um ihre Blöße zu bedecken, die Armen) oder von ernsthaften Porträts junger oder auch nicht mehr so junger Leute.

Dann heißt es so langsam zurück zum Hotel, Koffer einsammeln, zum Schiffsanleger San Marco gehen (nur zwei Brücken!), den Alilaguna-Schalter finden, Fahrschein lösen, gleich einsteigen, und los geht's. Timing! Allerdings stelle ich rasch fest, dass es nichts wird mit der Abschiedsfahrt durch den Canal Grande - statt dessen gibt es eine Fahrt durch die Lagune, am Arsenal und den Giardini vorbei, am Lido noch Gäste einsammeln, zurück zu den Fondamente Nuove, dann an San Michele vorbei mitten durch Murano, wo eine Glasbläserei neben der anderen liegt. Schon früh hatten die Venezianer die Glasbläser aus der Stadt verbannt wegen allzu großer Brandgefahr durch die heißen Feuer …

Nach einer guten Stunde Schipperei, bei der empfindliche Gemüter (oder Mägen) doch etwas zu leiden gehabt hätten, erreichen wir den Flughafen, noch arg früh. Der Check-in ist noch nicht geöffnet, so dass wir erst noch etwas essen. Dann können wir unser Gepäck loswerden, diesmal sogar "für umsonst" - ich bin schon in Sorge, dass sie es dann nicht mitnehmen.

Einsteigezeit ist - ein Wunder, ein Wunder! - um 19:40 Uhr, und das, wo der Flieger doch erst um 19:50 Uhr überhaupt eintreffen soll (und um 19:52 Uhr auch tatsächlich eintrifft). Im Flugzeug müssen wir erst einmal ohne Klimaanlage warten, das wird in Nullkommanix ganz furchtbar heiß - und dann kündigt der Pilot für Köln 10 Grad Celsius an, brrr!

Binnen zweieinhalb Stunden sind wir dann - Timing! - zu Hause in der Vogteistraße. Ah, keine blöden Laken, sondern eine richtige Bettdecke …!

Donnerstag, 22. September 2011

Donnerstag, 22. September 2011: Der Biennale zweiter Teil

Heute verzichten wir auf das Gassenlabyrinth und gehen wieder - jedenfalls von der Piazzetta aus - an der Bauchseite des venezianischen Fisches Richtung Schwanz. Am Ufer liegt zunächst ein großes Segelschiff mit drei Masten, und dann kommt auch noch der Seven Seas Mariner hereingedampft, eins von diesen schwimmenden Hochhäusern, die hier irgendwie deplaziert wirken (oder schreibt man das seit der Rechtschreibreform auch mit tz? Müsste ja wohl …) Dabei hatten sich heute schon gruppenweise die Passagiere der Holland America Lines über den Markusplatz und die dahinter liegenden Gassen ergossen.

Bald erreichen wir die Gärten, die Giardini, in denen die Biennale so etabliert ist, dass es allerhand steinerne Pavillons gibt, die so langsam alle ein dreistelliges Alter erreichen. Damit es nicht alles zu müde und eingefahren wird, gibt es Scharen von Blutsaugern, die auch hier dafür sorgen, dass die Damen mit den nackten Beinen (Strümpfe helfen natürlich auch nicht) allerhand modische Verrenkungen ausführen). Meine Stiche von letzter Woche haben so eine Auffrischung erfahren, damit ich ein paar Venedig-Souvenirs mit nach Hause bringen kann. Sachdochmawas. Toll.

Gleich der erste Pavillon, der der Schweiz, war schon ein Höhepunkt. Mit Unmengen von Alufolie, Klebeband, Wattestäbchen, anderen Alltagsmaterialien und tausenden von Bergkristallen (die meinen Mineraliensammler teilweise vor Neid erblassen lassen, obwohl er gar keinen Quarz sammelt) hat der Künstler den Raum in das kristalline Innere einer Druse verwandelt und verlangt, dass niemand zur Transparenz gezwungen werden kann und jeder das Recht auf Opazität hat. Hm - stand nicht in einem der anderen Pavillons, dass Freiheit nur sehr gut ausgeleuchtetes und damit gewissermaßen transparentes Chaos sei??

Der deutsche Pavillon war innen wie eine Medienzeitalterkirche gestaltet - gab bestimmt welche, die mindestens innerlich Sakrileg! gerufen haben -, und in den beiden Seitenflügeln wurde in memoriam Christoph Schlingensief allerhand von ihm und über ihn projiziert. Wusste gar nicht, dass der auch so ein Fitzcarraldo-Projekt hatte, bloß nicht am Amazonas, sondern in Burkina Faso. - Im großen Pavillon mit den Ausstellungsräumen war Deutschland unter anderem noch mit dem 2010 verstorbenen Sigmar Polke vertreten, der uns besonders mit seinem "Polizeischwein" begeisterte. Oink!!

Zwischendurch hörte man dann immer mal einen furchtbaren Lärm - vor dem Pavillon der Vereinigten Staaten von Amerika lag ein Panzer auf dem Rücken, dessen Ketten zumindest gefühlt mit einem Laufband verbunden waren, und dann kamen immer mal Läufer mit Sonnenbrille und Sportdress, die der Leibesertüchtigung huldigten und dabei die Ketten in Bewegung setzten (wohl mit kräftiger Unterstützung eines Motors). Komischerweise hatten die Läufer gar keinen Gehörschutz, und da hing auch kein Schild "Listening to these sounds without ear protection may harm your audition" oder so ähnlich. Der Bankautomat mit Orgelverbindung gleich nebenan war auch nicht gerade gehörschonend …

Ja, und so haben wir dann eins nach dem anderen angesehen. Eigentlich wollte ich ja gern hinterher noch mit dem Vaporetto durch den Canal Grande schippern, aber mangels Ticketbude an den Giardini ging das nicht. Seltenfahrer werden hier echt bestraft. Sowas Blödes! - Statt dessen sind wir auf der Via Garibaldi etwas trinken gegangen, und es ging wieder so wie fast immer: man sitzt ahnungslos da und hat es sich gemütlich eingerichtet, schwupp! kommen wieder irgendwelche Deutschen und nehmen vom Nachbartisch Besitz. In diesem Fall ein Paar nach dem Biennale-Besuch. Er: Jetzt habe ich wieder einen guten Überblick über die internationale Kunstszene. Sie: So? Und wie ist die? Er: Viel Konzeptkunst. Sie: Oooach, das ist doch nichts Neues. Usw. usf.

Ich aber bleibe dabei: diese ganzen Videoinstallationen werden deutlich überschätzt. Beeindruckend war nur eine im Arsenale-Teil, die ich wohl zu erwähnen vergaß. Das war die Collage aus Filmschnipseln, die sich mit Zeit und Uhren beschäftigen. Die decken wohl mindestens den Zeitraum 10 bis 18 Uhr ab und laufen in Echtzeit, das heißt die Punkt-ein-Uhr-nachmittags-Szene des Films wird auch um Punkt ein Uhr projiziert. Ich stelle mir die Herstellung dieser Collage sehr aufwändig vor. Wie findet man denn diese ganzen Uhrguckszenen, und vor allem für so unspektakuläre Zeiten wie 14:37 Uhr???

Auf dem Rückweg fuhr dann kein Kreuzfahrtschiff ein, sondern aus - dieses war noch größer als das heute Morgen: die Queen Victoria. Ach nein, irgendwie reizt mich der Gedanke an eine Kreuzfahrt aber so etwas von überhaupt nicht …

Davon abgesehen ist heute unser letzter Abend. Also gehen wir, als im Museo Correr die Fensterläden zugeklappt werden, noch ins Café Florian, das älteste auf dem Markusplatz. Seit 1790. Da war Rosa Salva von 1879 gestern bei San Zanipolo ja gar nichts! Die Preise konnten in den letzten gut 200 Jahren natürlich zu stattlicher Größe heranwachsen. Wie bestellen zwei Kaffeespezialitäten des Hauses, nicht ohne vorher von einem blasierten Kellner darauf hingewiesen worden zu sein, dass man hier pro Person 6 Euro Orchesterzuschlag zahlen muss. Ja wie gezz?! Und ich dachte immer, die Getränke wären so teuer, weil die Live-Musik mit eingepreist ist. Wir sitzen dafür die ganze blaue Stunde über da und können beobachten, wie das Licht des Tages dahinschwindet. Es gibt noch ein paar schweinsrosa Schäfchenwolken am Himmel, dann wird es blau, die Lichter gehen an. Sieht schon toll aus. Dann zahlen wir unsere 34,50 € und gehen zurück zum Hotel.

Wir essen heute gleich nebenan in der Taverna La Fenice - nicht günstig, aber recht gut und vor allem sehr aromatisch. Man kann von den meisten Gerichten eine halbe oder eine volle Portion bestellen - gute Einrichtung. Wir sind es jedenfalls zufrieden.

Mittwoch, 21. September 2011

Mittwoch, 21. September 2011: Tagsüber Heilige, abends ein Schuft!

Wir sind heute vergleichsweise früh dran, so dass ich denke, ich könnte erstmal unser Gepäck nachbuchen, damit wir auf dem Rückflug wenigstens nicht ganz so viel dafür bezahlen müssen. Aber so einfach ist das nicht …egal.

Wir wollen heute das Castello-Sechstel im Nordosten (also zwischen Markusplatz und Arsenal) erkunden, unterwegs aber noch schnell die Biblioteca Marciana (und zur Not das museo archeologico) ansehen, was natürlich auch nur mit Diskussion ging, denn angeblich muss man alle "marzianischen" Museen auf einen Schlag ansehen, und wir waren ja vorher schon im Museo Correr. Aber nach besagter Diskussion (es steht auch nirgendwo wirklich, dass es keine getrennten Museen sind) lässt man uns ja doch ein - seufz. Irgendwie unpraktisch, und wie zur Bestätigung aller Vorurteile, die Deutsche über Italiener haben. ;-)

Die Bibliothek besteht aus einer gefühlt quadratischen Vorhalle mit einem sehr schönen Marmorfußboden, einer restaurierungsbedürftigen trompe-l'œil-Malerei, die ein säulengetragenes Zwischengeschoss vortäuscht, und in der Mitte einem Bild der Weisheit von Tizians eigener Hand. Wenn man durch das museo archeologico kommt, betritt man die Bibliothek aber von hinten. Der wunderbar große Saal, in dem es allerdings gar keine Bücher mehr gibt, wird von einer Ausstellung einer Österreicherin namens Liselotte Höhs mit dem Titel "Animal magnetism" etwas "inkumbriert"; wie heißt noch gleich ein schönes deutsches Wort dafür? Zwar sind in der Raummitte nur Teppiche ausgestellt, aber dadurch, dass man sie natürlich nicht betreten darf und dass sie auch mit dicken roten Trossen abgesperrt sind, wirkt der Raum ganz verstellt. An den Wänden verbreiten überlebensgroße Philosophenportraits humanistischen Bildungswillen, an der Decke kann man die sieben mal drei großen Rundgemälde verschiedener Maler mit einem breiten Themenspektrum meist allegorischer Darstellungen (darunter z.B. die Mathematik) bewundern. Aber immer aufpassen, wo man hintritt!

Was mich dann doch noch mit Frau Höhs versöhnt hat, die wohl auch in Teilzeit in Venedig lebt, ist die von ihr erzählte Mini-Legende über die Entstehung der Lagunenstadt. Die geht wie folgt: Eines Tages kam der allergrößte Fisch der Adria in die warmen Lagunengewässer geschwommen und beschloß, ein Schläfchen zu machen. Und weil er so schöne Träume hatte, wachte er auch gar nicht wieder auf, sondern sprach im Schlaf: "Ich bin Venedig!", und war's. Da kam der zweitgrößte Fisch des Wegs und wollte dem größten den schönen Schlaf nicht gönnen und beschloss, ihn tüchtig in den Bauch zu zwacken, um ihn so aufzuwecken. Aber das half nichts, und so liegen sie nun beide in der Lagune, buchstäblich etwas verbissen an der Linie des Canal Grande getrennt, und träumen gemeinsam vor sich hin. Und seither gilt für Venedig: Requiescat in pesce!

(Wunderbares Wortspiel. Ende der Geschichte.) -

Das archäologische Museum zeigt auch moderne Kunst eines gewissen Bizhan Bassiri (oder so ähnlich): der Fall der Meteoriten. Die Idee ist eigentlich nicht ganz schlecht, die alten, meist hellen Statuen mit schwarzen "Meteoriten"objekten und drahtgebürsteten Stahlplatten zu kontrastieren - aber so richtig zündet sie nicht.

Dann gehen wir in heißer Sonne am Dalmatiner-Ufer (riva degli schiavoni) bis zum Arsenal, kommen aber gleich zu Anfang an den neuen Gefängnissen vorbei, die ja jetzt auch nicht mehr sooo neu sind. Der Palazzo, der sie zur breiten Uferpromenade hin abschirmt, beherbergt den Pavillon von Taiwan, das sich mit einer Tonlandschaft des Gehörten und Ungehörten präsentiert. Die Pavillonaufsicht leidet wohl mehr unter allzu oft gehörten Fragen und weist schriftlich darauf hin, dass es hier KEINEN Eingang zu den prigioni gibt und übrigens auch keine Toiletten.

Die Kirchen San Zaccaria und Santa Maria della Pietà haben geschlossen, so dass wir als nächstes schon gleich das Schifffahrtsmuseum (Museo storico navale) erreichen, welches der Reiseführer in den höchsten Tönen lobt. Was das Preis-Leistungsverhältnis betrifft, kann ich uneingeschränkt zustimmen: vier Etagen für 1,55 Euro pro Person sind - nun gerade in Venedig! - ungeschlagen. Mir ist es allerdings ein bisschen zu militärisch: kein Wunder, das Museum wurde 1919 vom Marineministerium gegründet. Es gibt auch einen Raum zu Gondeln (alles Quatsch, die Legenden, steht da: auch die frühen Formen der Gondeln hatten normalerweise genau einen Ruderer, der sie steuerte - und zu der Zeit waren sie völlig symmetrisch) und einen zum Bucintoro, dem Zeremonialschiff, mit dem der Doge einmal jährlich die Vermählung Venezias mit dem Meer bekräftigte. Und, und, und … es wirkt aber alles ein bisschen altbacken, und es fehlt auch ein bisschen der rote Faden.

In einem Ristorante vor der Einfahrt zum Arsenal verzehren wir zum Mittagessen eine Pizza, die gar nicht mal so schlecht ist, wie die Lage des Restaurants befürchten ließ.

Der Nachmittag ist dann frommen Themen gewidmet: dem Kloster San Francesco della Vigna, in dem offenbar heute noch Franziskaner wohnen, mit einem Kreuzgang (genau gesagt gibt es derer zwei), einem Bellini, einer Mumie der heiligen Cristina und einer Palladio-Fassade, die hier zwischen den Häusern allerdings nicht so richtig frei "atmen" kann.

Dann geht es zur Scuola Dalmata di San Giorgio degli Schiavoni mit dem berühmten Bilderzyklus von Vittore Carpaccio in der Eingangshalle, und zum Abschluss besuchen wir noch die größte Kirche Venedigs, geweiht den Heiligen Johannes und Paulus (Giovanni e Paolo), die die Venezianer zum "Bequemsprech" zu einem gewissen San Zanipolo verschmolzen haben. Der Platz davor, der an der Nordseite durch die Marmorfassade der Scuola Grande di San Marco begrenzt wird, hinter der sich heute ein Krankenhaus verbirgt, ist sicher mit der lebendigste. Nach dem Kirchenbesuch gönnen wir uns hier noch einen Eisbecher bei Rosa Salva, einem Traditions-Leckerlibereiter seit 1879.

Und dann heißt es rasch heimwärts Richtung La Fenice, um sieben Uhr erwartet uns der Herr Johannes, was dann zu leichter Hektik führt, weil ich halb acht im Kopf hatte. Aber um 18:53 Uhr sitzen wir in (halb-)feinem Opern-Gewand auf unseren Parkettplätzen. Was soll da nicht in Ordnung sein?!

Dienstag, 20. September 2011

Dienstag, 20. September 2011: MuVe

Nachtrag zu den unentschlossenen Straßennamen: schon der Platz vor dem Hotel heißt Campo Marinoni o de la Fenice, und dann habe ich noch den Campielo Giovanni Andrea della Croce o de la Malvasia anzubieten (sic - alles nicht ganz konsistent, scheint mir; eigentlich wäre der campiello mit Doppel-l zu schreiben, es sei denn, es wäre der venezianische Dialekt, aber dann wär' auch der Hannes eher mit nur einem n … hm). Sehr einprägsam - für Briefe dorthin bitte nur DIN C6 lang verwenden. ;-)

Heute sieht es am Morgen immer noch etwas grau aus, weshalb wir beschließen, eine Museumstour zu machen. Auch, um der Todsünde des Geizes zu frönen: der Eintritt in den Dogenpalast kostet pro Person 14 € (schluck!). Auf die Lohsesche Frage "wird das billiger, wenn ich gleich mehrere nehme?", lautet die Antwort der städtischen Museen ja - für 11 Etablissements kostet es dann 18 €. (Als Gruppe gehen wir beide hier leider nie durch; das war in China angenehmer, wo wir immer unsere Kleingruppenreisen gemacht haben.)

Wir steuern als erstes die Ca' Pesaro an, nicht ohne unterwegs noch einen Abstecher zum "Entzückendsten, was die venezianische Architektur zu bieten hat" (zitierter Reiseführerenthusiasmus) zu machen. Ein bisschen abseits vom Campo Manin liegt ein kleiner Hof, dessen Anwohner bestimmt von den glotzenden Pilgerscharen (kein gutes Gefühl, wenn ich das so schreibe - was würde mich qualifizieren, nicht dazu gezählt zu werden?) furchtbar genervt sind. Alle starren auf eine fünfstöckige Häuserwand. Die fünf Stockwerke haben zu diesem Hof hin alle eine offene Loggia, und links daneben verbindet eine ebenso offene Wendeltreppe mit Rundbogenarkaden die Stockwerke miteinander: il bovolo, das Schneckenhaus - dabei läuft die Treppe gar nicht in eine Spitze aus. Allerdings werden die oberen Stockwerke deutlich niedriger als die darunter liegenden. Ja, es sieht nett aus, um nicht zu sagen: Entzückend! -

In der Ca' Pesaro gibt es moderne Kunst so etwa von Beginn des 20. Jahrhunderts an zu sehen. Ein schöner Palazzo mit Prachtfront zum Canal Grande, in dessen Prachtsaal die Hits vergangener Biennalen präsentiert werden - schließlich ist die alle zwei Jahre stattfindende Ausstellung zeitgenössischer keine neue Erfindung, sondern eine altehrwürdige Einrichtung seit 1895. Hier hängt allerlei mit Rang und Namen, Klimt, Chagall, Kandinsky, Liebermann, Miró, wer könnte sich alle merken …

Außerdem gab es eine Ausstellung von einem gewissen Pier Paolo C. (Wer könnte sich den Namen merken?) mit befremdlichen Installationen. "Die Badewanne (Dialog zwischen Wasser und Ei)", oder die überlaufende Teekanne, oder die drei Geräusche produzierenden Kassettenrecorder mit weißen Federn zwischen zwei moosverkleideten Brettern (mein Vorschlag für den Titel: Häuptling Schneeadler lässt ausrichten, dass der Sommer etwas zu trocken ist), oder das Werk "Paravent", bei dem hinter dem namengebenden windschützenden Wandschirm eine Arecapalme von einem motorisierten "Apparatismus" alle zig Sekunden angezupft wird und sich dann bewegt, wie wenn ein Windhauch durch die Blätter ginge. Oder dieses Werk mit dem weißgoldenen Goldfisch (Pfannenformat, also eine ernstzunehmende Größe), der in einem vergleichsweise engen Becken vor einem vergleichsweise trostlosen Objekt in Form von zwei leicht angerottet aussehenden metallbeschlagenen Brettern ziemlich still herumsteht, mal ein paar Zentimeter vor oder zurück oder herauf oder hinunter schwebt (schwimmen kann man das nicht nennen) und eigentlich nur sein Karpfenmaul auf- und zuklappt. Irgendwie trostlos. Und nirgendwo ein Schild, das einem versichern würde "no animal was harmed …". Dabei ist dieses Werk auf 1978-80 datiert - so alt ist der Fisch bestimmt nicht! Eine besondere Spezialität von diesem Peterpaul sind gekühlte Werke mit Reifrand. Politisch-ökologisch heutzutage völlig inkorrekt, und dann noch in den vergleichsweise warmen, da unklimatisierten Museumsräumlichkeiten im zweiten Stock!

Auf der anderen Seite der zweiten Etage befindet sich das Museum für ostasiatische Kunst. Es beginnt mit einer riesigen Sammlung von Waffen und Rüstungen - die europäische Ausgabe davon habe ich gestern im Dogenpalast schon links liegen lassen, und die heute will ich auch nicht sehen. Die Sammlung von Lackwaren war recht gut, der Rest solala, oder in diesem Fall erst recht mamahuhu. Vor allem aber war die Kalligraphie völlig unterrepräsentiert, was ihrer Rolle in der asiatischen Kunst absolut nicht gerecht wird. -

Ganz vergessen habe ich ja, dass wir vorher noch in der Kirche San Giovanni Elemosinario waren: der heilige almosengebende Johannes. Von dem habe ich vorher noch nie gehört, aber Tizian selbst hat ihn für das Altarbild porträtiert. Gleich hinter dem Eingang war noch eins der überall mehr oder weniger gleichmäßig in den Kirchenböden verteilten Gräber geöffnet und beleuchtet; es ist aber leer und nur deshalb offen (mit einer Glasscheibe bedeckt), weil an den Seitenwänden bei genauem Hinsehen noch Fragmente alter Fresken zu erkennen sind. - Hier kostet es auch Eintritt via Chorus Pass, und ich will die Gelegenheit nutzen, einmal lobend die Dokumentationsblätter zu erwähnen. Für jede Kirche gibt es ein doppelseitig bedrucktes und laminiertes DIN A4-Blatt, vorn eine Kurzbeschreibung der Kirche, hinten ein Grundrissplan mit allen Kunstwerken. Und zwar in mehreren Sprachen, hier auch in Deutsch, während die meisten Museen sich auf Italienisch, Englisch und Französisch beschränken. Und das, wo gefühlt hier ein Drittel deutschsprachige und ein Drittel französischsprachige Gäste sind; das letzte Drittel teilen sich die restlichen Nationalitäten. Italiener kommen auch nach genauerer Beobachtung der Sachlage (zumindest tagsüber) fast immer nur als Einzelpersonen vor, telefonieren dafür aber auch fast immer mit Nachdruck und Mobtel am Ohr. Aber das war nur ein Exkurs; ich war ja gerade dabei, die guten Dokumentationsblätter zu loben, die schon mehrfach durch ihr ziemlich tadelloses Deutsch auffielen. Die haben wirklich jemanden gefragt, der sich damit auskennt, und sich nicht auf irgendjemandes halbgare Fremdsprachenkenntnisse verlassen, wie es sonst so oft üblich ist. Umso mehr fiel heute der zwar grammatikalisch völlig korrekte, aber unfreiwillig komische Hinweis auf "das herrliche Martyrium der heiligen Katharina von Alexandria" auf - aber noch wieder andererseits sah es im Vergleich zu den Laurentius-Grillszenen oder den Sebastian-Pfeilorgien auch gar nicht sooo unangenehm aus: Die Märtyrerin kniet in einem sehr edlen Gewande auf einem Platz, wird von einem Engel aus dem Himmel bereits mit heiligen Oblaten von einem schönen Tellerchen gestärkt, während ein nur wenig gewalttätig aussehender Mann sie von hinten festhält und einen Dolch bei sich führt, mit dem er sie dann vermutlich gleich töten wird. ["Wie denn?" - "Stich sie ins Herz, oder schlag ihr den Kopf ab!"] Als Martyrium wirklich eher harmlos - aber "herrlich"?!

Nach dem vormittäglichen Kunstrausch ist nun eigentlich Mittagszeit, aber es ist kein brauchbares Café greifbar. Statt dessen kommen wir noch einmal bei den Eiermosaiken vor St Stae vorbei und dann am Palazzo Mocenigo. Der beherbergt das Museum und Studienzentrum für Textil- und Modegeschichte, soll aber auch einen guten Eindruck vermitteln, wie reiche, adlige Venezianer im 17. und 18. Jahrhundert gewohnt haben. Wir gehen vor allem deshalb hinein (und weil der Eintritt quasi bereits bezahlt ist) und nicht wegen der Ausstellung mit Kleidern der russischen und anderer Emigrantinnen aus der Zeit von Diaghilev, also vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Die zahlreichen Räume dieses gotischen Palasts sind schon sehr prachtvoll, aber auch dunkel und bestimmt in der kalten Jahreszeit ganz schön ungemütlich gewesen.

Dann ist doch noch Gelegenheit zu einem nicht der Rede werten Mittagsimbiss, bevor wir unser nächstes Ziel ansteuern: das Naturkundemuseum im Fondaco dei Turchi. Ein echter Geheimtipp! Unbedingt hingehen!

Danach warten wir vergeblich auf einen Fährmann. Hol über!! Aber kein Mensch versieht offenbar um diese Tageszeit den Fährdienst an der Traghetto-Station San Marcuola. :-((( Da bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als bis zum Bahnhof zu gehen und da den Canal Grande auf der Brücke zu überqueren. Wir müssen dann natürlich erst wieder ein Stück auf der breiten Touristeneinfallschneise gehen, bevor wir zu einem weiteren Weg durch das Sechstel Cannaregio abbiegen können. Wir steuern zunächst den Campo dei mori an, den Mohrenplatz. Der heißt so, weil an den Hauswänden steinerne Mohrenfiguren Wache halten. Wie man weiß, dass es sich um Mohren handelt, wo sie doch aus ganz weißem Stein gemacht sind? Ganz einfach, sie tragen riesige "Vogelnester" auf dem Kopf, die ihre typischen großen Turbane darstellen sollen. Neben einem zwar ziemlich schiefen, aber ansonsten besonders schönen Exemplar befindet sich das alte Haus von Tintoretto. Außer den Mohren gibt es hier noch eine Figur, die einem gleich auffällt, wenn man über die Mohrenbrücke den Platz erreicht, nämlich durch die dunkle und ziemlich eckige Eisennase im hellen Steingesicht. Leider ist die zugehörige Geschichte (jedenfalls mir) nicht überliefert.

Ziemlich genau um sechs Uhr erreichen wir die Kirche Madonna dell'Orto, die eigentlich dem heiligen Christophorus geweiht ist. Diese Kirche mit der auffälligen Fassade hat nun leider schon seit einer Stunde zu - schade. Und auch die Fassade liegt nun schon Schatten: rote Ziegel und lebhafte Akzente mit weißen Steinfiguren. - Wir spazieren also notgedrungen weiter durch die nicht sehr belebten, aber keinesfalls ausgestorben wirkenden Gassen und Uferstraßen. Plötzlich ein Hafenbecken voller bunter Boote, dahinter die tiefblaue Lagune und linker Hand die Häuser von Murano, rechter Hand die Ziegelmauer und grünen Zypressenspitzen der Friedhofsinsel San Michele mit ihrer Kirche, die man von hier gut sehen kann. Die Fassade leuchtet weiß herüber.

Die ganze Gegend wirkt irgendwie entspannt, vielleicht wie wenn die Last des Tages jetzt im Licht der tiefstehenden Sonne einem entspannten Feierabend weicht? Wir suchen und finden jedenfalls die Osteria "Ai Promessi Sposi" und essen halbwegs preiswert, auf jeden Fall aber recht gut zu Abend. Und nun, wo sich das Ende unseres Venedigaufenthaltes nähert, wissen wir auch endlich, wie man von hier ohne großen Umweg zurückfindet zu unserem Hotel.

P.S. MuVe sind die Musei civici Veneziani.

Montag, 19. September 2011

Montag, 19. September 2011: An DER Piazza

Ich habe nämlich gelernt, dass es in Venedig eben nur einen Platz gibt, der so bezeichnet wird. Die anderen heißen alle entweder campo, oder, wenn noch kleiner, campiello. So, wie es wohl auch nur eine strada gibt und zwei vie - standardmäßig kommen die Straßen mir hier spanisch vor und heißen calle. Es gibt noch eine Reihe von Spezialausdrücken, damit es nicht allzu langweilig wird - und vor allem fällt mir auf, dass die Venezianer sich oft nicht entscheiden konnten, welchen Namen eine Straße oder ein Platz denn nun schließlich tragen sollte: häufig sieht man Namen mit "oder" - auch wenn ich jetzt gerade kein Beispiel geben kann. Auch gut sind die gelegentlich gesichteten "calle que va al …", also die Straßen, die angeblich irgendwohin führen.

Der kleine Exkurs reflektiert die Wetterlage - heute Morgen ist doch wirklich kein Fetzchen Blau am Himmel zu sehen, und es regnet sogar ein bisschen. Aber irgendwann helfen keine Exkurse mehr, und siehe da: es ist zwar weiterhin grau, regnet aber nicht mehr, als wir auf die Straße treten. Also gut, irgendwie Museum, wir gehen mal zur Piazza und beschließen, dass die Schlange für den Dogenpalast nicht zuuu lang ist.

Ich bin ziemlich sicher, dass wir vor 19 Jahren den Palazzo ducale auch besichtigt haben, dass das aber damals nur im Rahmen einer Führung möglich war. Muss mich wohl nicht beeindruckt haben, denn wie ich feststelle, erinnere mich praktisch an nichts. Und auch dieses Mal bleibt vielleicht nicht soviel hängen - irgendwie sind dunkle Prachträume mit reichlich Goldornamenten und wand- und deckenfüllenden Gemälden nicht mein Ding. Obwohl … die Landkarten im Schildersaal, in dem der Doge Gäste zu empfangen pflegte, vor allem die von Asien, wie Marco Polo es kannte, haben mir heute doch Spaß gemacht. Am bemerkenswertesten ist aber eigentlich, wie alles einem Ziel untergeordnet wurde: staatstragend zu sein und die Macht der Seerepublik zu erhalten. Alles wurde so zurechtgedreht, dass es in genau diesen Kram passte. Eine "corporate story" gab es, die besagte, dass Gott selbst der venezianischen Oligarchie die Macht in die Hand gegeben hat (mit dem Diebstahl der Knochen des Evangelisten Markus aus Alexandria hat man der Sache ein bisschen auf die Sprünge geholfen); die Marke Venedig war mit ihrem Markuslöwenlogo überall präsent, und wem das alles nicht passte, der konnte ja sehen, wie er ohne Venezia klar käme. Venezia übrigens, diese als strahlend-schönes Weib präsentierte Verkörperung, wurde ebenso staatstragend einmal im Jahr symbolisch mit dem Meer verheiratet. Ich glaube jedenfalls, dass noch heute jede Unternehmenskommunikationsabteilung hier etwas lernen kann. Zum Beispiel auch zur Instrumentalisierung von Kunst(-handwerk dann wohl, denn kaum instrumentalisiert, dürfte die Kunst ja wohl keine mehr sein, oder?). Tintoretto war jedenfalls so dankbar, den Auftrag für "Das Paradies" ausführen zu dürfen, dass er angeblich gebeten hat, sein Honorar dafür zu kürzen. Es handelt sich um das mit 22 mal 7 Metern größte Ölbild auf Leinwand der Welt, das das Paradies ziemlich "renao" darstellt, sprich: heiß und lärmig. Dieser Riesenschinken schmückt die Stirnseite des Saals des großen Rates, der seinerseits mit 54 mal 25 Metern einer der größten Räumen Europas ist, und stellt unmissverständlich klar, dass der Doge praktisch direkt an Jesus, den Weltenrichter und -herrscher, berichtet und vom Licht der göttlichen Weisheit durchdrungen ist.

Nach gut dreieinhalb Stunden sind wir durch; mittlerweile ist der Himmel strahlend blau mit weißen Wolken. Mit dramatischen weißen Wolken: das Licht sieht gut aus, also fahren wir (Geiz lass nach: 8 € pro Person) auf DEN Campanile. In der Tat, die Ausblicke sind super.

Aber dann verschlechtert es sich wieder. Also gehen wir lieber noch ins Museum Correr. Die haben auch eine schöne Sammlung, sollten aber doch einmal über eine Auffrischung nachdenken.

Nach so viel Kultur entscheiden wir uns für ein Restaurant, das nur drei Ecken von unserem Hotel entfernt liegt. Bei Blitz, Donner und Wolkenbruch speisen wir trocken unter der Markise, die den ganzen, ansonsten recht kuscheligen Innenhof überdeckt. Bis wir mal aufgegessen haben, hat der Regen zum Glück so gut wie aufgehört. Dann mal schnell zurück ins Hotel und aufwärmen - es ist ein bisschen frisch geworden.

Sonntag, 18. September 2011

Sonntag, 18. September 2011: Allerhand Religiöses

Heute Morgen ist es erstmalig nicht ganz blau. Wohl sonnig, wohl ein bisschen blau, aber da sind doch relativ zahlreiche Wölkchen über der Fassade des gut renovierten Palazzo, auf den wir aus dem Hotelzimmer schauen. Der Blick ist relativ schön, und das Beste ist, dass zu dem Palazzo ein uns zuwandter Garten gehört, so dass es zwischen Hotelwand und Palastfassade genügend freien Luftraum gibt. Ganz unten führt übrigens kein Gässchen, sondern ein rio vorbei, auf dem, wenn man abends allzu früh zurück kommt, reichlich Gondeln mit schmalzenden Musikanten verkehren.

Wir gehen schon gleich um viertel vor zehn aus dem Haus bzw. Hotel, weil ich darauf spekuliere, dass um 10 Uhr Messe im Markusdom ist. Wir sind auch um kurz vor zehn da - aber Hochamt ist erst um halb elf. Macht ja nichts: wir dürfen problemlos hinein, denn Burkhard hat den Fotorucksack nicht dabei, meiner ist klein genug, das kurzärmelige T-Shirt bedeckt die Schultern, und der knielange Rock wird auch als "nicht unzüchtig" eingestuft. Im Mittelschiff stehen Klappsessel wie beim Konzert, nur besser, weil hier jeder seine eigene Rückenlehne hat. So haben wir also eine halbe Stunde Zeit, wenigstens die von unserem Platz sichtbaren Mosaiken zu studieren. Die Kirchendiener im dunklen Anzug wachen darüber, dass die zahlreichen Touristen (hatte ich mir schon gedacht, dass die Idee nicht soooo originell ist) nicht doch fotografieren. No foto! hallt es immer mal wieder grimmig durch die Kirche. Dann kommt die Abordnung der Priesterschaft, vier oder fünf in Grün, mehrere weißgewandete, auch eine Messdienerin mit Strassspange im sehr langen Haar. Das hier! Bald breitet sich der Weihrauchhauch bis zu uns aus.

Die musikalische Gestaltung liegt zum Glück meistenteils in den Händen eines ziemlich guten Chores - alles andere als Hausfrauensonderklasse! Dann kam die Nummer mit dem Zwischengesang: "Der Herr ist nahe allen, die ihn anrufen." Bei einem ein paar Reihen vor uns Sitzenden klingelt darauf das Mobiltelefon, und er kriegt's und kriegt's nicht aus, steht dann auf, geht raus - und ward nicht mehr gesehen. Die zweite Lesung wurde heute auf polnisch vorgenommen, von einem ebenfalls grünen Mitbruder aus Polen, der hier zu Gast war. Die Italiener hatten ein buntes Blättchen mit der Gottesdienstordnung für heute, für die Touris gab es ein Blättchen mit den Texten in vier Sprachen. Zum festen Bestand der Kirche gehört das Blatt mit dem Glaubensbekenntnis und dem Vaterunser in Latein, was auch beides so gesungen wurde. - Das Evangelium von heute war dieses Gleichnis von den Tagelöhnern im Weinberg, denen der Besitzer einen Dinar Lohn gibt, egal, ob sie erst zur elften Stunde angeworben worden waren oder "des ganzen Tages Last und Hitze getragen haben". Könnte man noch mal in die müßige deutsche Gerechtigkeitsdiskussion einwerfen. Daraufhin hat der Grüngewandete mit dem kardinalsrot gemusterten Unterkleid gepredigt. Das Schöne dabei: er hat vergleichsweise langsam und deutlich gesprochen. Ich habe die Ohren sehr gespitzt und bin fest überzeugt, dass ich fast alles verstanden hätte, wenn ich das Manuskript hätte mitlesen können. Inspiriert von den Arbeitern im Weinberg, hat er, glaube ich, einen sehr weiten Bogen gespannt, von der Schöpfungsgeschichte (seid fruchtbar und mehret euch, und macht euch die Erde untertan: durch Arbeit) bis zum ersten Satz der italienischen Verfassung, die sich auch auf die Arbeit bezieht, und hat über die Würde gesprochen, die Menschen aus der Arbeit beziehen, und über die Krise und die schlimme Jugendarbeitslosigkeit. Er hat auch mehrere Kommentare von Papst Benedikt zitiert und von etwas gesprochen, was irgendwelche Kirchenoberen mal zum Thema Arbeit formuliert haben - war das nun im 19. oder Anfang des 20. Jahrhunderts? - Wie auch immer; dann war Kollekte für Somalia und Eucharistiefeier, deren Vorbereitung mir irgendwie besonders langwierig vorkam. In der Zwischenzeit kamen durch die Oberlichter unter den Kuppeln zwei Sonnenstrahlen herein, die dank des geweihten Rauchs (gerade noch frisch nachgelegt) wunderbar deutlich schräg im Raum zu sehen waren. Gegen 11:40 Uhr hieß es dann "Andate in pace", gehet hin in Frieden. Und das haben wir dann auch gemacht. Die rechten Schurken fangen dann mit dem Fotografieren an, ts, ts, ts.

Wir gehen erst einmal zurück zum Hotel, die restliche Ausstattung einsammeln. Der Plan für den Nachmittag ist, das Ghetto zu besichtigen - da ist das Wochenende vorbei. Die eher unrühmliche Erfindung, Juden in einem Stadtviertel wenigstens nachts einzusperren, geht auf die Venezianer des 16. Jahrhunderts zurück. Und weil auf der Insel, die sie dafür vorgesehen hatten, ursprünglich eine Gießerei lag (ital. getto, venez. Geto, später also Ghetto), hatte diese Institution auch gleich einen Namen. Jedenfalls sei das eine wohl weit verbreitete Erklärung. Eine Anekdote am Rand: zuerst gab es in Venedig das neue Ghetto, dann das alte (sic!), und am Ende das neueste. Ungefähr zu diesen Zeiten muss es wohl die fast 5000 Einwohner gegeben haben, die es erforderlich machten, bis zu achtstöckige Häuser zu bauen: wahre Wolkenkratzer zu der Zeit. Damit sie nicht zuviel kratzten, waren die einzelnen Etagen ziemlich niedrig … Aus dieser Fülle erklärt sich auch, dass es auf ganz engem Raum fünf Synagogen gibt, die natürlich auch vorne und hinten nicht gereicht haben können. Wir haben heute drei der fünf besichtigt, und die hatten jeweils eher die Größe eines sehr üppigen Wohnraums. Was daran liegen mag, dass sie nachträglich in bestehende Häuser eingebaut wurden. In der ersten, der deutschen, wurde auch noch die "Kanzel" (weiß leider nicht, wie das richtig heißt) gemäß traditionellem Plan in der Raummitte installiert - aber die Statik war dagegen, der Boden sieht auch heute etwas gefährlich angebrochen aus. Daher wurde sie hier später "exzentriert" und in den weiteren Bauten gleich an die Seitenwand gesetzt. Übrigens machte nicht nur die Vielzahl der Beter die große Anzahl an Bethäusern nötig, sondern auch die Unterschiedlichkeit des Ritus. Denn in der venezianischen Seerepublik waren ja Juden aus aller Herren Länder zusammengekommen, zuerst deutsche und (ost-)europäische (ashkenazim), dann italienische vor allem auch aus Süditalien, die sich mit ersteren zusammentaten, dann spanische (auch "ponentinische"), die zusammen mit den ursprünglich spanischen von der Levante, also aus dem östlichen Mittelmeerraum, als sephardim bezeichnet werden und ihrem eigenen Ritus folgen.

Heute hat die jüdische Gemeinde von Venedig noch etwa 500 Mitglieder, von denen aber nur noch eine absolut verschwindende Minderheit von vielleicht 15 im Ghetto wohnt. Nach dem Ende der venezianischen Republik wurde 1797 auch die Ghettoisierung aufgehoben, so dass man es seit daher vermutlich vorzog, sich schönere Wohnungen zu leisten.

Außer den Synagogen haben wir auch das ganz schön hergerichtete Museum besucht. Sehr nett: die Wechselausstellung mit Werken eines offenbar jüdischen (oder doch des Hebräischen mächtigen) Künstlers, der mit Buchstaben und Zahlen seine Flächen füllt. Sehr typisch, und einige seiner Werke waren auch schon im italienischen Pavillon zu sehen und später im Schaufenster einer der zahllosen Galerien der Stadt. Aber auch die computergestützen Grafiken eines gewissen Franzosen namens Lalou gefallen mir gut - irgendwo an der Grenze zwischen Bild und Kalligraphie. L'aleph s'arrache à soi-même pour créer le monde (Das Aleph entreißt sich seiner selbst, um die Welt zu erschaffen) heißt ein SchriftBild mit dem ersten Buchstaben des hebräischen Alphabets. Wobei ich zugebe, dass mich der Titel in diesem Fall vielleicht noch mehr beeindruckt als das Bild selbst - welch eine Idee!

Nach der Besichtigung der Ghetto-Sehenswürdigkeiten sitzen wir noch gemütlich auf dem großen Platz zwischen den alten Hochhäusern, als uns ein sehr plötzlicher Platzregen ins Haus treibt. Aber der ist zum Glück auch so schnell vorbei, wie er gekommen ist. Wir gehen am Canale di Cannaregio bis zum Ende der Stadt: von hier kann man prima die Verkehrssituation der Lagunenstadt quasi als Panorama bewundern. Linker Hand liegt die Straßenbrücke - quasi die Angelschnur, an der der venezianische Fisch angebissen hat. Es ist reichlich Bus- und PKW-Verkehr. Direkt vor einem und gleich rechts fahren Boote aller Arten, darunter die Vaporetti, die hier in den Canale einbiegen, vor sich kann man die Flieger im Landeanflug beobachten, und gnaz hinten rechts erkennt man bei genauem Hinschauen den Flughafen. Wir gehen am Canale di Cannaregio fast bis zum Canal Grande und dann Richtung Bahnhof. Grauenhaft, diese Touristenströme - aber viel schlimmer: die ganzen Buden mit allem Kram, den kein Mensch braucht, aber für teures Geld.

An der Piazzale Roma (Autoverkehr, igitt!) kann man die neue "Verfassungsbrücke" (kann ich ja auch nichts für, die heißt halt so) bewundern. Ich benutze sie auch, aber da fällt wieder Regen in ausgeprägten Tropfen, und Burkhard hat keine Lust, den öffentlichen Park auf der anderen Seite des Canal Grande zu besuchen. Also gehen wir zurück und essen im Gam Gam angeblich koscheres Essen. Die gemischte Vorspeise mit Falafel ist jedenfalls sehr lecker - wie oft bei Essen aus dem vorderen Orient wäre es das Beste, sich an den 1000 leckeren Vorspeisenzubereitungen satt zu essen und fertig! Der Rest ist ja auch nicht schlecht - aber eben auch nicht sooo gut. Hier gibt es danach auch keinen Espresso, sondern Kaffee im Mokka-Stil. - Auf der Rechnung findet sich übrigens die Position "2 Gedecke - 0,00 €". Das scheint unter venezianischen Gastwirten ein Glaubenskrieg zu sein (wo ich doch heute über allerhand Religiöses schreibe): soll man das Gedeck in Rechnung stellen oder nicht? Die, die es in den übrigen Preisen einkalkuliert haben und daher nicht separat berechnen, machen damit gern Werbung, am liebsten mehrsprachig. Aber das kann auch tückisch sein. Die beste Variante gab es bei den "Sportivi" (ich berichtete), wo man verwundert in der deutschen Variante "Kein Gedeck ohne Aufpreis" lesen kann. Buohahaha!

Fast hätte ich übrigens vergessen zu erwähnen, dass wir vor dem Essen noch einen Abstecher zum Mumien-Gucken in der Kirche San Geremia gemacht haben. In einem schönen Kleid und mit einer anmutigen Silbermaske auf dem Gesicht liegt hier die heilige Lucia, Hüterin des Gesichtssinns, mit gefalteten Mumienhänden und nackten Mumienfüßen. Das Lucia-Merchandising ist heftig …!

Nun bleibt nur zu hoffen, dass der Regen und der ziemlich frische Wind von heute Nachmittag nur ein kurzes Intermezzo waren. Heute abend war es jedenfalls schon wieder weniger frisch.

Samstag, 17. September 2011

Samstag, 17. September 2011: La Giudecca und San Giorgio Maggiore

Heute wandeln wir angeblich auf Palladios Spuren, denn dieser berühmte Architekt hat die drei Kirchen zumindest konzipiert, die so ungefähr die einzigen Sehenswürdigkeiten dieser "Inselgruppe" ausmachen, wenn man mal von dem Riesenklotz im Stil der Hamburger Speicherstadt-Gebäude absieht: il molino Stucky, nach einem früheren Neureichen namens Giorgio S. benannt, der sich von keinen stilistischen Bedenken hatte ankränkeln lassen. Heute befindet sich im feinst renovierten Ziegelgemäuer das Hotel Molino Stucky Hilton. Seeehr reich, wenn man die asiatischen Prinzipien anwendet und die Größe des Reichtums nach der Kälte der herausschwallenden Luft beurteilt.

Zuerst haben wir aber noch an den Zattere die Rosenkranzkirche der Dominikaner besichtigt, die allgemein als Gesuati bekannt ist. Reichlich Bilder von Tiepolo, darunter die Überreichung des Rosenkranzes und Dominikus im Himmel. Sehr venezianisch, aber nicht meins. -

Zur Giudecca sind wir dann umsonst gekommen - für den Ticketautomaten waren wir zu dumm, und fürs Kassieren war das Boot zu voll. Wir wandern erst zum Hilton, kommen dabei an Harry's Dolci vorbei, dem ruhig gelegenen Ableger der berühmten Bar, und dann an einer Tankstelle gleich vor der Hotelinsel. Die Giudecca ist nämlich gar nicht eine Insel; es sind ihrer acht. - Dann geht es zurück, immer mit Blick auf die Zattere bzw. später auf den Dogenpalast. Das Wasser ist recht unruhig heute und schwappt an vielen Stellen auf die Uferpromenade. In einem der Cafés haben die Gäste schon Fußbänkchen unter die Tische gestellt bekommen, sonst gibt's im Sitzen nasse Füße … aber der Blick entschädigt ja für fast alles.

Ein Weilchen später erreichen wir einen zurückspringenden Platz, auf dem wir trockenen Fußes und trotzdem mit Blick eine Kleinigkeit speisen können. Ristorante il redentore, die gleichnamige Kirche kann also nicht ganz weit sein. Das Essen ist weder Erlösung noch Offenbarung, aber auch keine Strafe. Solcherart gestärkt finden wir wenige Meter weiter die besagte Erlöserkirche mit Palladios klassizistischer Fassade, ganz in strahlendem Weiß oder doch in einem ganz frischen Steingrau. Eine Kirche, die der Senat von Venedig dem lieben Gott versprochen hatte, wenn die große Pestepidemie von 1576/77 rasch ein Ende fände. Da der schwarze Tod schon so schnell so viele dahingerafft hatte (50.000 - das wären heutzutage so ungefähr alle gewesen), war es dann auch so, dass schon am 21. Juli 1577 eine Dankeswallfahrt dorthin veranstaltet werden konnte (die Kirche war natürlich noch nicht fertig), was bis heute an jedem dritten Julisonntag wiederholt wird, in Form einer Brücke aus Booten. Die Kirche ist innen ganz weiß getüncht, also ziemlich hell, und für venezianische Verhältnisse geradezu unverschämt schlicht. Das verdanken wir angeblich den Kapuzinern, denn der Senat hatte just deren Gebetsplatz für den Bau der Kirche ausgeguckt. Die Bettelmönche haben diese Wahl unter der Bedingung akzeptiert, dass man ihr Armutsgelübde respektiere, also keine reichen Leute bei ihnen begrabe. Ich wusste gar nicht, dass Reichenbegräbnisse soooo lukrativ waren!

Spannend ist auch die Sakristei - man muss ziemlich verschlungene Wege gehen, um dorthin zu gelangen, und steht unversehens in einem Kabinett der besonderen Art. Außer Reliquiaren und einer ganzen Reihe von klein- bis mittelformatigen Bildern fallen hier besonders die meist etwas leidend dreinblickenden Wachsköpfe von Heiligen und berühmten Kapuzinern auf, die gegen das Verstauben irgendwie makaber mit Glasstürzen geschützt sind. Wirkt fast so, als seien es Originalköpfe, in Formalin eingelegt - brrrr!

Die Kirche Le Zitelle ("die Jungfrauen") hat ihren Namen von einem Hospiz, in dem schöne arme Mädchen fromm erzogen und so (vielleicht) vor der Höllenverderbnis gerettet wurden, die solch unbedarften Wesen praktisch überall auflauerte. Da es heute wohl weniger Bedarf gibt, bleibt die Kirche meist geschlossen - allerdings muss es wohl, dem weißen Konfetti vor dem Portal nach zu urteilen, gelegentlich dort Hochzeiten geben.

Unweit von dieser Kirche stoßen wir auf den russischen Pavillon; die Ausstellung heißt "Modernikon". In einer der Videoinstallationen läuft auf der Tonspur die Internationale - fatal! Die hab' ich ja jetzt noch als Ohrwurm. Völker hört …! Mein Verdacht ist ja, dass hinter der nächsten Häuserecke einer steht und Strichlisten führt, wie viele der Ausstellungsbesucher noch die Internationale vor sich hin pfeifen.

Auf dem Stück bis zum Ende der Insel liegen jetzt nur noch das Luxushotel Cipriani, das von dieser Seite völlig unscheinbar daher kommt, und ein völlig abgeschlossenes Gelände der Finanzverwaltung - da müssen wir also noch ein Stück zurück, um das Boot nach San Giorgio nehmen zu können. Diesmal ist es leider nicht zu voll zum Kassieren, und die 1 Minute Fahrt kostet 6,50 Euro. :-( Pro Person, versteht sich.

In der alten Klosterkirche gibt es zu diesen Biennalezeiten eine Installation namens Himmelfahrt von einem gewissen Anish Kapoor. Mit vier Ventilationssäulen an den Vierungspfeilern erzeugt er einen Luftwirbel, zentral wird eine leichte Staubwolke (oder sollte es eine Dampfwolke sein?) ausgeblasen, und oben in der Kuppel saugt ein großer Rüssel die sichtbar gemachte Windhose "in den Himmel". Klasse Idee!

Für stolze 5 Euro pro Person kann man auf den Campanile fahren; die Ausblicke über die Lagune sind schon sehr schön. Von hier aus kann man auch den riesigen Garten samt Swimmingpool des besagten Hotel Cipriani gut ausmachen - vor allem aber die zwei (!) Kreuzgänge des Klosters und das ornamentale Gartenlabyrinth. Man sieht aber auch, dass alles menschenleer ist, man also vermutlich nichts davon besichtigen kann. Na, wenn das so ist - dann können wir ja auch davon Gebrauch machen, dass die 6,50 Euro-Tickets eine ganze Stunde lang zum Bootfahren verwendet werden können. Also zurück nach San Marco.

Wir besuchen noch die Pavillons von Irland und Zimbabwe und ein Projekt eines gewissen Alan Ginzburg - irgendwie ist es, wie wenn ganz Venedig Tag der offenen Tür hat, in so viele ganz normale Häuser kann man auf diese Weise hineingehen.

Dann ist es schon bald Zeit, ans Abendessen zu denken, nachdem wir zuvor ein Weilchen auf dem hübschen Platz vor der Taufkirche Vivaldis herumgesessen haben. Wusste ich gar nicht, dass der Venezianer war! Aber das war er wohl, denn er wurde am 4. März 1678 in genau dieser Gemeinde geboren. Hier gibt es auch die Calle della (nichts) - wenn man genau hinsieht, kann man erkennen, dass hier das Wort "morte" übertüncht wurde. Komisch - wenn die Leute früher mit so einer Straße leben konnten, warum dann heute nicht mehr?

Was das Abendessen betrifft, folgen wir wieder einer Reiseführerempfehlung und gehen ins Al Mascaron. Antipasto Misto, Spaghetti mit Meeresfrüchten und eine Grillfischplatte, dazu ein Tiramisù - nicht billig, nicht schlecht. Und der Laden total hip und seeehr gefragt - die Leute standen draußen Schlange, um auch hier speisen zu dürfen.

Freitag, 16. September 2011: Das Extra: Barockkonzert

Der Hochkultur am Abend geht leider niedere Esskultur voraus: Da wir vorher noch zum Hotel und um acht Uhr am Konzertsaal sein wollen (keine Platzkarten innerhalb der zwei Preiskategorien), wollen wir lieber nur eine Pizza essen. Die speziell empfohlenen Fladenbäcker liegen aber alle für besagte Zwecke ungünstig, so dass wir uns für eine zwar farbenfrohe (ich hatte eine recht italienische mit ricotta und spinaci auf dem Tomatensaucengrund), aber insgesamt paradoxerweise ziemlich farblose Pizza auf dem Campo Santo Stefano entschieden. Hinterher ist noch Zeit: Pizza ist eben wirklich ein Schnellimbiss. Aber, wie ich meine, kein Beinahe-Essen (fast food), sondern doch ein wenig besser. Wir gönnen uns also noch ein "kunsthandwerkliches" Eis (nämlich artigianale) und besichtigen den Flohmarkt auf dem Campo San Maurizio (?) - da gibt's auch wirklich nur alten Kram. Aber das ist ja wohl für die Flohmarkt-Adepten der Reiz: aus 1000 Schrottartikeln den einen wertvollen herauszufinden und dann womöglich noch zum Schnäppchenpreis zu ergattern. Und umgekehrt: für Sachen, die man eigentlich nur noch wegwerfen kann, noch Interessenten zu finden und wenigstens kleines Geld zu bekommen, das dann ja fast wie geschenkt kommt.

Dann werfe ich mich in ganz kleine Schale, und wir finden tatsächlich ohne allzu große Umschweife zu dem Platz an dieser einen Kirche zurück (super Beschreibung in Venedig, wie auch die Einheimischen, nach dem Weg befragt, angeblich immer mit der Auskunft "sempre diritto" weiterhelfen, immer geradeaus). Jedenfalls liegt hier das Gebäude der Scuola Grande di San Teodoro, in der sich das Musikereignis begeben soll. Ein nicht mehr ganz junger Herr in wenig stilechtem Ringelpoloshirt sorgt zunächst dafür, dass draußen ordentlich Schlange gestanden wird. Dann dürfen wir - übrigens: die Damen meist in kleiner Schale, die Herren meist in kompromisslosem Freizeitlook, gern auch mit kniekurzer Schlabberhose - brav in Zweierreihen in die Eingangshalle eintreten und noch braver ganz hinten um die Glasskulpturenausstellung herum bis zum Fuß der Treppe vordringen. Dass wir uns nicht an den Händen halten müssen, erscheint fast komisch. ;-)

Schließlich dürfen wir doch den Festsaal der Scuola betreten, der nun hier zum Konzertsaal gestaltet ist. Der Saal ist ja nicht schlecht, aber dass dies der prestigeträchtigste Konzertsaal in Venedig sei, halte ich doch für eine dreiste Lüge des Programmzettels. Schon allein deshalb, weil die Stuhlreihen aus stoffbespannten Drahtgestellsesseln bestehen. In der Scuola Grande de San Rocco hatte ich zu demselben Zweck transparente Design-Kunststoffstapelstühle gesehen …

Der Nachteil der Sitzgelegenheit: Je drei bilden eine Einheit mit einem gemeinsamen Rückenlehnenstoffstreifen, sprich: wenn eine/r sich vorbeugt, fallen die anderen ein Stück nach hinten, und vice versa. Welcher Designer verbricht sowas??!

Halbwegs pünktlich um halb neun kommen fünf Damen und ein Herr in mehr oder weniger sorgsam angelegter Kleidung des 18. Jahrhunderts herein, mit mehr oder weniger liebevoll aufgesetzten weißen Perücken. Zwei Violinen (die erste mit strenger Brille und irgendwie ungehalten wirkend), eine Viola (umwerfendes Lächeln!), ein Cello (knallrote Brille, nicht ganz stilecht zum cremefarbenen Gewand, aber in sich ruhend) und ein Kontrabass (leicht unsicher wirkend). Der kniehosige Herr mit den weißen Kniestrümpfen bedient das Tasteninstrument, das mal als Cembalo, mal als Orgel daherkommt; die moderne Technik macht's möglich.

Das erste Stück ist ein Concerto von Vivaldi, nichts besonders Bekanntes - die Barock-Hitparade fängt erst danach mit Albinonis Adagio an. Di-daadadaadadaaaaaada, du-daadadaadadaaaaada, di-dudidadidadaaaa … und so weiter. Danach rückt die ungehaltene erste Geige einen Notenständer in die Mitte der Bühne: Applaus für die allererste Geige, diese nun aber männlich. Man nimmt das Herzstück des heutigen Abends in Angriff: die vier Jahreszeiten (ouf! So ein Glück, dass es nicht die zwölf Monate sind. ;-)) ).

Dieses Werk ist ja nun vom vielen Hören schon ganz abgegriffen (schiefes Bild, ich weiß - aber schon fast wieder reizvoll schief!), insofern ist es gut, wenn durch live-Darbietung die Aufmerksamkeit noch einmal neu fokussiert wird. Ich "oute" mich jetzt auch wieder als Hör-Banausin (bin halt ein Augentier), wenn ich bekenne, dass die Klangfülle mich stets zu dem Glauben verleitete, die Jahreszeiten seien ein Orchesterstück, wo doch ein Streichsextett mit Cembalobegleitung voll ausreicht. Die Mimik der allerersten Geige ist auch sehenswert - zumindest meine Hand will die ganze Zeit mittanzen. Was mir (Augentier!) jetzt noch fehlt, ist die verfilmte Version: der Nebel, der sich über die Wiesen senkt, oder waren da auch Jagdhörner, die ich im Herbst gehört habe? Die klirrende Kälte, das bunte Treiben auf dem Eis … gibt's bestimmt; für sachdienliche Hinweise meiner werten Leser bin ich dankbar.

In der Zwischenzeit überfällt mich noch ein sprachphilosophischer Gedanke. Streicher kann man offenbar sehr unterschiedlich betrachten. Die Engländer schauen sehr auf die Saiten ("strings"), die Italiener mehr auf die Bögen ("archi") - da finde ich doch das Deutsche mit dem Schwerpunkt auf der Aktion des Mit-dem-Bogen-über-die-Saiten-Streichens sehr ansprechend, wenn auch die noch Pingeligeren einwenden könnten, es gäbe schließlich auch pizzicato.

Jedenfalls war das ein sehr nettes Konzert, auch wenn wir uns hinterher gut gekühlt trollen. Auf einer Sorte Plakat stand zwar "hall fully heated", aber das war wohl nur eine missverstandene Übersetzung für "klimatisiert".

Freitag, 16. September 2011

Freitag, 16. September 2011: Das ist Pauls Kreuz! San Polo und Santa Croce

Am nicht mehr ganz so frühen Morgen - ich musste erst noch eine halbe Stunde im Reiseführer lesen - machen wir uns auf Richtung Rialtobrücke, denn wir wollen den anderen Kernbereich der Stadt erkunden. Nicht das Sechstel San Marco, sondern das Drittel San Polo und Santa Croce - oder ist Kürzen hier unzulässig? Oder, um es in Shanghaier Begriffen auszudrücken: da wäre der Canal Grande der Fluß (Huang)Pu, wir wohnen in PuDong (östlich des Flusses), und wollen PuXi (den Stadtteil im Westen) besuchen.

Gleich hinter der Rialtobrücke, die irgendwie überhaupt kein Flair hat, liegt die angeblich älteste Kirche der Stadt. Ganz klein, mit einer Kuppel und einem simplen Vordach auf alten Säulen. Vergleichsweise "intim", aber auch nicht so richtig - da können die venezianischen Kirchen nach meinem Geschmack mit den romanischen (von der Dorfkirche bis zu den Resten von Cluny) einfach nicht mithalten. Und was die Brücke betrifft: außen die übervollen Treppen mit den von Abermillionen Touristen glattpolierten Steinquadern als Geländer, die leicht abgewrackten Bretterrückseiten der kleinen Ladenbuden, innen die besagten Läden mit dem üblichen Touristenkram. Nicht, dass ich spontan wüsste, wie man es besser machen könnte - aber dafür könnte die Stadt ja mal einen Ideenwettbewerb ausschreiben: Gebt der Rialtobrücke eine neue Seele!

Wir streifen durchs Sechstel. Es ist ziemlich touristisch, außerdem scheint es hier eine Häufung von Schuhgeschäften zu geben. Eins ist auch dabei, in dem es schicke Varietäten von Gummistiefeln gibt. Wieso nur eins? Müsste hier nicht die Welthauptstadt der Gummistiefelmode sein? Wo sonst wäre es so nötig wie hier, schnödes Plastik modisch aufzupeppen? Den Wattwürmern in der Nordsee ist es egal, und den Wildsauen, deren Suhlen inspiziert werden sollen, vermutlich auch … aber wenn man elegant über den (Hochwasser-)Laufsteg trippelt, sollte es ja schon nach etwas aussehen.

Nach diversen Kirchen, Plätzchen, Brücken, Gassen und Kanälen öffnet sich plötzlich der weite Platz San Polo, auf dem es leider nur zwei oder drei schattige Bänke gibt, die natürlich alle besetzt sind. Da bleibt uns nur der Sitzplatz mit Getränk, was ja auch nicht schlecht ist, denn es ist heute wieder heiß und schon fast Mittag. Angeblich ist dieses der größte Platz in Venedig, wo früher Bärenhatzen (!!) und andere Volksbelustigungen veranstaltet worden seien - aber wenn da erst Volk drauf ist, bleibt ja nicht mehr viel Raum für Bären, geschweige denn fürs Hetzen.

In der namengebenden Kirche des heiligen Paul entschließen wir uns dann doch, den "Chorus Pass" zu erwerben. Eintritt in 16 kostenpflichtige Kirchen für 10 Euro pro Person - das erscheint ja sehr akzeptabel, wo es einzeln immer gleich leicht unverschämte 3 Euro sind.

Unser wichtigster Programmpunkt heute sind die Frari-Kirche (eigentlich: Santa Maria Gloriosa dei Frari) und, gleich gegenüber, die Scuola Grande di San Rocco. Unterwegs kommen wir an einem reiseführerempfohlenen Schokoladenladen mit dem schönen Namen Laster Tugend (vizio virtù) vorbei. Im Schaufenster stehen lauter wärmeempfindliche Kleinkunstwerke zu meist nicht genannten Preisen - wir widerstehen tapfer. Gegenüber gibt es einen Laden für Gondel-Rudergabeln; das ist auch ein Thema für sich, aber das Widerstehen ist so unendlich viel leichter als bei der Schokolade … Die Rudergabeln (ital.: forcole, als Gäbelchen) sind komisch geformte Holzteile, traditionell wohl aus Walnußholz, die es erlauben, auf "tausend" Arten das eine Gondel-Ruder anzulegen, was zusammen mit der schiefen Konstruktion der Boote (viiiiiel schiefer als gedacht, wenn man mal genau hinschaut) erlaubt, mit nur einem Ruder geradeaus zu fahren und ein superwendiges Gefährt aus der doch recht großen Gondel zu machen.

Erfreulicherweise gilt der Chorus Pass auch für die riesengroße Frari-Kirche, die neben zwei (schrecklichen) Mausoleen für Tizian und Canova auch mehrere Dogengräber und natürlich jede Menge Gemälde enthält. Das berühmteste: Mariens Himmelfahrt, 3,90 mal 6,90 Meter, auf dem Hochaltar. Zu seiner Zeit wohl ein Skandal, heute ziemlich entrückt (buchstäblich) und nicht mal per Foto greifbarer, denn Fotografieren ist schon wie in fast allen Kirchen verboten. - Der weite, hohe gotische Raum mit edlem Chorgestühl ist schon recht beeindruckend.

Gegenüber, in den Räumen der Rochusbruderschaft, dominiert Tintoretto. Trotzdem erscheinen mir die Räume fast eher be- oder gar erdrückend denn be-ein-druckend, was daran liegen mag, dass sie insgesamt sehr dunkel sind.

In San Stae (eigentlich: San Eustachio) befindet sich eine weitere Kunstinstallation, oder genauer: zwei. Bienenstock und Schicksalstrommeln, oder so ähnlich. Mich beeindruckt aber das namenlose Grab mitten in der Kirche mehr. Außer Totenkopf mit gekreuztem Knochenpaar ist rechts und links der Grabplatte je ein sensenschwingendes Skelett als Marmoreinlegearbeit deutlichster Hinweis auf die Vergänglichkeit, und die lateinische Grabinschrift besagt: Name und Asche wurden zusammen mit der Eitelkeit (vanitas) begraben.

Vor San Stae gibt es weitere Eiermosaiken (s. Bericht über den ukrainischen Pavillon), und daneben noch eine Ausstellung mit drastisch-unverständlichen S/W-Fotos eines taiwanesischen Künstler: Das Festmahl des Chun-Te.

Dann machen wir uns so langsam auf den Rückweg, denn für heute Abend haben wir Konzertkarten. Es gibt im Wesentliche Vivaldis vier Jahreszeiten und als Dreingabe noch ein paar von den Loussier'schen Baroque Favorites, so Albinonis Adagio und Pachelbels Kanon. Aber davon vielleicht separat mehr, jetzt muss ich schlafen.

Donnerstag, 15. September 2011

Donnerstag, 15. September 2011: San Michele und das goldene Haus

Heute muss ich mal Bötchen fahren und raus aus der Stadt, auf die Friedhofsinsel San Michele. Eigentlich wollen wir vorher in die Ca d'Oro, aber die hat heute ausnahmsweise über Mittag geschlossen. Besichtigt wurden also auf dem Weg zur Vaporetto-Haltestelle "Fondamente Nuove" nur diverse Kirchen, die zwar theoretisch alle ihren Tintoretto oder Tizian haben, praktisch aber nur Kopien ausstellen. Bei den heiligen Aposteln hängt die Tintoretto-Kopie lieblos in einem "Schmuckstück" von Renaissancekapelle von einem gewissen Mauro Codussi (mir gefällt's trotzdem nicht), prachtvoller geht es schon in der Jesuitenkirche der himmelgefahrenen Maria zu. Hier meint der Reiseführer "eine Orgie aus grünem und weißem Marmor", und das stimmt wohl auch. Die ziemlich große Kirche ist mit dieser Orgie (Einlegearbeiten im Stil venezianischer Tapeten aus dem besagten Marmor in zwei Farben) dafür zwar etwas sehr pompös, aber doch auch einheitlich gestaltet. Der Tizian gleich vorne links ist schon beeindruckend, was den Umgang mit Licht und Finsternis betrifft. Es zeigt das Martyrium des heiligen Laurenz, der bekanntlich auf dem glühenden Rost gegrillt wurde. Die Feuerglut von unten und eine göttliche "Lichtexplosion" von oben dominieren die dunkle Szenerie.

Apropos Licht: zwischendurch waren wir noch beim lettländischen Biennale-Kollateralereignis: artificial peace, künstlicher Friede, heißt das Werk einer Künstlerin aus Riga. Eine Installation von vermutlich leicht kolorierten Leinwänden mit Schwarzlicht. -

Noch ein paar Meter nach Norden, und man hat die "Rückenflosse" des venezianischen Fisches erreicht (einfach mal einen Plan der Lagunenstadt anschauen, dann erschließt sich das Bild). Hier an den Fondamente Nuove fahren die Linien 41 und 42, die auf der Friedhofsinsel anlegen. Ich kaufe Tickets und verlange "zweimal nach San Michele", was mir die leicht verwunderte Rückfrage "und zurück?!" einbringt. Sicher doch, ich will ja nicht gleich da bleiben!

Während wir noch auf den (oder das?) Vaporetto warten, fährt ein Motorboot mit blumengeschmücktem Sarg darauf voraus, ein zweites mit der Trauergesellschaft hinterher. Als wir später die Kirche erreichen, stehen Sarg, Gesellschaft und Priester schon zum Abmarsch bereit im Kreuzgang und schreiten dann auch unmittelbar zur Beisetzung.

Gleich vorn in diesem Gebäudekomplex befindet sich ein Gedenkstein für Christian Doppler, den Finder des gleichnamigen Effekts. Auch sonst gibt es ein paar Berühmtheiten zu besuchen, wenn auch nicht so viele wie auf den Pariser Friedhöfen sind. Und der Zettel, den man als Findehilfe bekommen kann, leistet dem Vorurteil Vorschub, die Italiener seien chaotisch und unorganisiert. Diaghilev und Strawinsky finde ich trotzdem, und noch einige mir unbekannte Prominente. Auch einen gewissen Modest Bakunin - aber der ist nirgendwo genannt. Scheint auch mit dem russischen Revolutionär oder was der war nichts zu tun zu haben. - Auf dem griechischen und dem evangelischen Teil des Friedhofs liegen sowieso die interessantesten Gräber - jede Menge Ausländer von überall her, die in Venedig dahingeschieden sind. Demenstsprechend sieht man auch Grabdenkmäler in allerhand Sprachen; auf dem griechischen Teil viele auf Russisch oder eben Griechisch, auf dem evangelischen Teil auch Englisch, Schweizerisch, Holländisch, Ungarisch, Deutsch, Österreichisch ("Schlummere sanft!") … die Gräber sind oft ziemlich alt, aus dem 19. Jahrhundert - wenn man nun so gar keinen Platz hat, könnte man vielleicht doch mal ans Auflassen denken, zumal viele Denkmäler schon ganz verfallen sind.

Wie immer hat so ein Friedhof so viele unerzählte Geschichten: das Doppelkindergrab, geb. 21.12.1957, gest. 24.12.1957 das eine, geb. 29.3.1959, gest. ?.8.1959, wie traurig. Oder die junge Amerikanerin aus New York, die Angetraute von Dottore Angelo Zucchi, die im Alter von 26 Jahren starb und drei Bambini hinterließ. Oder der gut über siebzigjährige Vater (?), der zwei Jahre vor seinem Tod noch den Sohn im Alter von 34 1/2 Jahren zu Grabe hatte tragen müssen. Und, und, und. Mittlerweile, so habe ich gelesen, werden Erdbestattungen möglichst vermieden, da der Boden sehr salzhaltig sein soll, was die Verwesung behindert - geht wohl mehr in die Richtung "Salzheringe". In einer Ecke standen auch mehrere massive (Linden-?)Holzpflöcke … wenn die da alle so gut erhalten sind … Allerdings machen die Mücken möglichen anderen Blutsaugern heftige Konkurrenz. Meine Beine sind ja schon von den Vortagen mit roten Quaddeln verziert, die anfallsweise heftig jucken - aber hier haben alle Mädels plötzlich lange Arme mit Kratzhändchen dran.

Vorsichtshalber ist die Insel auch ganz von Mauern umgeben. Im Süden geben drei vergitterte Tore einen Blick auf die ziemlich unspektakuläre Skyline von Venedig frei. Hier führen auch Stufen ins Meer, aber weiter als bis vor die vergitterten Tore kommt man nicht. - Unweit von dieser Maueröffnung steht eine Bank im Schatten der Zypressen, auf der es sich wunderbar aushalten läßt: die Luft ist warm und (wirklich keine Übertreibung!) durchtränkt vom Zypressenduft, eine sanfte Brise weht von der Lagune zum Tor hinein und vertreibt wohl auch die Mücken, und vom Bootsverkehr draußen abgesehen ist es ruhig und still. Da hätte ich stundenlang sitzen bleiben können! Das Einzige, was mich anficht: ich habe San Michele irgendwie ganz anders in Erinnerung. Sprich: den Erinnerungen ist nicht zu trauen, denn die Wahrscheinlichkeit, dass die Insel in der Zwischenzeit nennenswert umgestaltet wurde, erscheint doch extrem klein. Im Moment soll es allerdings ein Erweiterungsprojekt geben, das bis 2013 fertiggestellt wäre …

Wir fahren aber dann doch zurück; die Fahrt ist in Nullkommanix vorbei. So richtig als Bötchentour kann man es eigentlich gar nicht gelten lassen. Wir kehren zunächst in einer Bar ein und trinken DAS Modegetränk, einen Gingerino: knallorange, knallsüß, knallbitter. Nicht unangenehm und hier zu ungefähr jeder Tages- und Nachtzeit buchstäblich in aller Munde, oft wohl auch mit was-weiß-ich gemischt. Dann noch einen Cappuccino; das muss reichen für den Besuch der Ca d'Oro, die den Beinamen Galleria Franchetti trägt. So der Name des Mäzens. Wir sind aber ein bisschen enttäuscht: so toll erscheint uns die Sammlung nun auch wieder nicht. Jaja, Andrea Mategnas sorgfältig dekorativ mit Pfeilen durchbohrter heiliger Sebastian. Jaja, die Landschaften der holländischen Schule. Mir sagt sowohl des Titels wie des Sujets wegen mehr die "Madonna mit dem Sack" zu - völlig unzwingend hat sich ein dicker runder, fast weißer Sack - irgendwie schweinsförmig! - die Gesellschaft der heiligen Mutter erschlichen. - Interessant ist schon eher das Projekt, zwischen den alten Meistern einen Zeitgenossen ausstellen zu lassen. Seine Personen haben meist Schnäbel statt Nasen, die meisten Bilder sind "senza titolo", ohne Titel (wie ärgerlich! Meiner Meinung nach sollten Künstler sich zwingen, ihren Schöpfungen Namen zu geben - Namenloses verbleibt doch irgendwie im Embryonalstadium. Ist es in der biblischen Schöpfungsgeschichte nicht auch so, dass ein jedes seinen Namen bekommt und damit erst vollwertiger Bestandteil der Schöpfung wird??), und auf Erklärungstafeln stehen schwer verdauliche Texte über die Kunst an sich. Mir gefällt der kleine Interviewausschnitt am besten. Sinngemäß geht der ungefähr so: (Frage einer Journalistin:) Zuletzt haben mehr und mehr Künstler auch über Kunsttheorie gesprochen und ihre Position im gesellschaftlich-politischen Diskurs unter besonderer Berücksichtigung des philosophischen Environnements verdeutlicht; Ihre ist bislang im Dunkeln geblieben. Wollen Sie uns etwas über Ihre Position sagen? (Sorry, verhohnepipelt, aber irgendwie klang es genau so. Antwort des Künstlers:) Ja, also, wenn ich an großformatigen Werken arbeite, tue ich das im Stehen. Bei kleineren Formaten ziehe ich eine sitzende Position vor. Nichts anderes als Loriots berühmtes "Wir schlafen im Liegen!", nur dass in der transskribierten Version die verdeutlichende Geste fehlt.

Erwähnenswert ist auch noch der kleine Hof der Ca d'Oro. Die schönen gotischen Fenster, ein Terrakottabrunnen, sparsam verteilt Skulpturen "als greco" und der auffällig üppige vielfarbige Marmorfußboden vom Anfang des 20sten Jahrhunderts. -

Am Abend essen wir im "Ai Barbacani" - recht üppig, mit lokalem Einschlag (sarde in saor, seppie alla veneziana) und sehr nett. Wir wählen ein gutes Verfahren: eine italienische UND eine deutsche Speisekarte. Und nicht lachen, auf letzterer gibt es nämlich die Rubriken 'Vorspeisen', 'Ernster Gang' (sic!), 'Zweiter Gang'. Wenn ich nur nicht so furchtbar satt wäre. Und das ganz ohne Dessert!

Mittwoch, 14. September 2011

Mittwoch, 14. September 2011: Auf dem harten Rücken: Dorsoduro

Ans Frühstück haben wir uns schon fast gewöhnt - und der Cappuccino aus der Maschine schmeckt wirklich gut, der entschädigt sogar für die Croissants, die entweder klebrig lackiert sind und dann mit zäher Marmelade gefüllt oder puderzuckerbeschneit und dann mit dicker Creme vollgespritzt.

Heute geht es zielstrebig zur Accademia-Brücke. 52 Stufen hinauf, 53 hinunter - die venezianischen Brückenbauer sind sehr menschenfreundlich und gestalten ihre Brücken mit den ganz flachen Stufen, die man ganz lässig überschlendern kann, ohne sich anstrengen zu müssen. Schon ist man an der Galleria dell'Accademia, eins der wichtigsten "Schinkenmuseen" in Venedig. Mit Kontrollen, Regeln und Aufsicht scheint man es sehr locker zu nehmen - aber ich hoffe angesichts der Bilder, dass das nur so aussieht. Es ist jedenfalls angenehm. Die Räumlichkeiten machen dafür zum Teil einen ziemlich abgewrackten Eindruck, und mehrere sind auch wegen Restaurierungsarbeiten geschlossen. Ich entdecke, dass der bereits erwähnte Vittore Carpaccio keineswegs ein Zeitgenosse von Harry war, dem Gründer und Namensgeber seiner Bar, sondern um ca. 1460 geboren wurde. Wie kam der Koch bloß auf die Idee, sein hauchdünn aufgeschnittenes Rindfleisch nach dem zu benennen?? Wahrscheinlich wegen der Assoziation mit den alten Schinken … von Herrn Carpaccio sind besonders diverse Ursulinenschinken überliefert, darunter die Ankunft in Köln, das damals auf den Stadtfahnen wohl noch nur die drei Kronen zeigte - die 11(tausend) Tränen waren ja erst noch in Arbeit. Gemetzel s. nächstes Bild. Ziemlich blutberauscht werden da die zahlreichen züchtigen jungen Damen massakriert. Aber Ende gut, alles gut: das dritte großformatige Gemälde zeigt die Apotheose der heiligen Ursula und ihrer Gefährtinnen. Liegt das jetzt nur an meiner Darstellung, oder war das ein bisschen zynisch?!

Eigentlich habe ich mich aber heute auf die Bellinis konzentriert. Und nicht auf die klassischen Cocktails, die bei Harry erfunden und so getauft wurden, sondern auf die Gemälde von Johannes Bellinus, der auch noch mit Johannes signiert hat und nicht als Giovani. So liebliche Madonnen, so verträumte Blicke! Und dann das berühmte Gewitterbild mit der stillenden Mutter im Grünen und dem Blitz am dräuenden Himmel, von dem ich ziemlich sicher bin, dass ich es vor 19 Jahren in einer Ausstellung in der Ca d'Oro gesehen habe. Jedenfalls anderswo.

Danach machen wir uns auf den Weg durchs Viertele, von einer Kirche zur nächsten, von einem campo zum campiello. An der Universität in der Ca Foscari findet irgendein Symposium statt, man hört internationales Geplauder beim Mittagsimbiss. Die venezianischen Kirchen erscheinen mir noch zahlreicher als z.B. die Kölner - wozu "zum Teufel" braucht man so viele? Es gibt zwei Klassen: die, die man umsonst betreten kann, und die, in denen es Eintritt kostet. Dann immer gleich drei Euro pro Person, und bloß, weil dann da irgendwelche dunklen Bilder in dunklen Ecken hängen oder von schräg einfallendem Licht in matt reflektierende Flächen verwandelt werden. Och nö. Was die Atmosphäre betrifft, machen die meisten venezianischen Kirchen sowieso nicht viel her. Lobend zu erwähnen hier vielleicht die etwas abseits gelegene Kirche San Nicolò dei Mendicoli. Zwar alles sehr überladen und mit mehr oder weniger finsteren Gemälden im Großformat, aber irgendwie einheitlich und ganz wirkend, nicht wie ein Zoo von Versatzstücken, der bei Verfügbarkeit von Budget um das nächste Werk ergänzt wurde.

Zur Mittagszeit sind wir auf dem Campo Santa Margherita, wo wir im Ristorante "ai sportivi" speisen - es erschien mir aber auch nicht sportlicher als anderswo. Vielleicht hätte ich intensiver versuchen sollen, die völlig schmerzfreien Tauben, die einem da zwischen den Füßen herumwuseln, mit etwas Zitronensaft zu beträufeln: das wäre bestimmt für alle Beteiligten sportlicher gewesen. Burkhard bestellt aus nostalgischen Gründen frittura mista, aber die dauert erstens ewig und ist zweitens auch nicht mehr das, was sie mal war. keine kleinen Fischchen, die sich als Pommes frites verkleidet haben - jetzt gibt es Tintenfischringe und Garnelen. Ach nee, Tante Mechthild!

Während wir da so sitzen und essen, sehe ich Heerscharen von Leuten mit Eis vorbeigehen. Aha! Da hinten scheinen die Leute für hausgemachtes Eis anzustehen. Da gehen wir dann auch hin und holen uns noch einen Nachtisch. Mascarpone-Eis mit Feigen, Fior di latte ("Milchblume") und Dogen-Creme mit (glaube ich) kandierten Kumquat-Stückchen schmecken gut, haben mich aber total umgehauen. Vorher war ich noch gar nicht soooo satt. Aber jetzt, wo ich dies schreibe, ist es fast neun Uhr und wir haben beschlossen, dass wir heute kein Abendessen mehr benötigen.

In der Sonne ist es jedenfalls tagsüber ganz schön heiß, wir sind immer froh, wenn wir durch enge Gassen oder auf dem schattigen Ufer gehen können. Aber um etwa vier Uhr erreichen wir die Zattere, den alten Uferweg im Süden des Dorsoduro am Canal der la Giudecca, der vermutlich vor noch nicht allzu langer Zeit in die halbwegs mondäne Uferpromenade verwandelt wurde, die sie jetzt ist. Es ist allerdings nicht sehr voll, was wohl auch an den Temperaturen liegen mag. Als wir das "Spitzensegment" der Halbinsel erreichen, liegen dort die alten Bootshäuser, die sich auch hervorragend für Kunstausstellungen eignen. Eine der wohl besonders hochkarätigen Ausstellungen im Rahmen der Biennale (auf Englisch: collateral events) findet sich gleich in einem der ersten "Schuppen": Anselm Kiefers 'Salz der Erde'. Eintrittskarten muss man aber ein paar zig Meter weiter hinten kaufen. Gleich daneben liegt der gemeinsame Pavillon von Katalonien und den Balearen, den man umsonst besichtigen kann und deren "Bewacher" wohl schon leicht genervt sind, weshalb sie mit dickem, schwarzem Filzstift in Großbuchstaben einen Zettel beschriftet haben: THIS IS (unterstrichen) NOT THE EXHIBITION OF ANSELM KIEFER (next door on the left) AND (unterstrichen) NOT THE TICKET OFFICE (100 mt on the right). This is the Pavillion of CATALUNYA & BALEARIC ISLANDS. FREE ENTRY. Thank you.

Diese Videoinstallation ist sogar ganz nett; es geht (glaube ich) darum, dass so unendlich viel gleichzeitig passiert, dass es Bilder gibt und Geschichten. Letztere kann man erzählen, erstere nicht. Nebenan stellen diverse arabische Künstler unter dem Thema The Future of the Promise aus (die Zukunft des Versprechens), was ja nun, da das Versprechen der Zukunft vielleicht weniger eingelöst scheint denn je, die zweckmäßigere Fragestellung sei.

Während wir noch zur Halbinselspitze weitergehen, fährt eins von diesen Kreuzfahrtschiffen vorbei. Alle Passagiere stehen an Deck Spalier … ach nein, ich glaube, das ist nichts für mich. Die Inselspitze "ziert" ein ziemlich unzwingender nackter weißer Plastikjüngling, der mit spitzen Fingern einen Frosch am Hinterbein hält. Herren in Uniform (allerdings von einem privaten Sicherheitsdienst) verbreiten Sicherheit und Zigarettenqualm.

Als wir schließlich bei Santa Maria della Salute ankommen, die bei mir nur Santa Maria delle Volute heißt (Voluten: spiralförmige Ornamente, von denen es hier reichlich gibt), ist sie schon geschlossen. Da bleibt uns nur noch, weiter durch Straßen und Gassen zu streifen und noch in zwei Etablissements einzukehren, um diverse Getränke zu uns zu nehmen. Schon klasse, wenn man - und sogar ich, die ich schon mal leicht verfroren bin - bis zehn Uhr abends gemütlich draußen sitzen kann!

Dienstag, 13. September 2011

Dienstag, 13. September 2011: vita brevis ars longa: der Biennale erster Teil

Oder wie sprach noch der Lateiner? Dies wäre ja "kurz ist das Leben, lang ist die Kunst" - für uns heute länger als sechs Stunden. Die erste Tat nach dem Frühstück war heute aber, im sicher berühmtesten Opernhaus der Welt (oder etwa nicht??!!), dem venezianischen Phönix - La Fenice -, nach Eintrittskarten für eine beliebige Vorstellung zu fragen. Klasse! Jetzt haben wir zwei schöne Platzkarten im Parkett. Am 21. September gibt es Don Giovanni. Nu' hab' ich ja von Opern keine Ahnung, aber ist das nicht der Inbegriff des Mozart-Oper? - Ich hatte ja schon befürchtet, dass die Kartenvergabe so ähnlich funktioniert wie bei den Salzburger Festspielen: 10 Jahre vorher buchen, dann kann man auch viel besser drumherum planen. Die Dame an der Opernkasse hat mich übrigens wie selbstverständlich auf Französisch bedient, was, als ich das einmal bemerkt hatte, ja zwar kein Problem war, aber trotzdem lustig.

Gleich gegenüber beginnt die Biennale. Sozusagen. Eine Kirche dient als überaus passender ukrainischer "Pavillon" für ein überdimensioniertes byzantinisches Mosaik aus Abertausenden von - wer würde das je erraten, wenn er's nicht gesehen hat? - kunstvoll bemalten Ostereiern. 120 in einer Reihe, ungezählte Reihen. Zum Glück sind es Holzeier, sonst wäre es wohl allzu fragil. Es zeigt ein nachdenkliches Gesicht (Christus?), darunter ein Medaillon und darunter (schon in der Horizontalen) ein Gotteslamm. Das Mosaik füllt quasi den ganzen Kirchenraum aus; man tritt auf einer schwarzen Rampe vor das Bild. Eine Klanginstallation mit geheimnisvollem Geflüster und fallenden Wassertropfen komplettiert das Gesamtkunstwerk. Wir erkennen jetzt auch das Mosaik wieder, das uns am ersten Abend vom Canal Grande aus schon aufgefallen war. Da hatten wir uns noch gefragt, aus was es wohl bestünde …

Dann schlängeln wir uns wieder durch das venezianische Gassenlabyrinth. Um diese Uhrzeit muss man aufpassen, dass die starken jungen Männer mit den Speziallastkarren einen nicht umfahren (Betonung auf 'um'). An einer Gassenmündung riefen plötzlich drei so etwas wie Vorsicht!, was aber nichts anderes heißt als Platz da! Ich wusste schon gar nicht, wohin noch ausweichen.

Gut, dass die Sonne es meist nicht bis auf den Grund der Straßenschluchten schafft - wenn doch, wird es gleich furchtbar heiß. Unterwegs kommen wir an einem Palazzo vorbei, das anno siebzehnhunderteinundsiebzig den eben schon genannten Salzburger Künstler beherbergt hat. Als wir in die Nähe des Arsenals kommen (eine der beiden Haupt"austragungsorte" der Biennale), nimmt die Pracht der Häuser ab, der Abglanz früherer Genies fehlt ganz, und auch die Touristendichte sinkt merklich. Dafür hängt mehr Wäsche auf den Leinen, die die Gassen überspannen, und es wirkt irgendwie intimer. Hier muss man sich aber auch auskennen: anders als gestern mussten wir ein paar Mal auch wirklich umkehren, da der Weg unversehens an einem río endet, so heißen die kleinen Wasserwege.

Schließlich finden wir aber die Einfahrt zum Arsenal mit den Türmen und der üppigen Löwenskulptur, und unweit davon auch einen Eingang zum Arsenal-Gelände des alle zwei Jahre stattfindenden Kunst-Karnevals. Vorher besuchen wir noch eine Video-Installation von Yi Zhou. Mamahuhu, würde ich sagen: Pferd Pferd Tiger Tiger. -

Die Ausstellung steht dieses Jahr unter dem Motto Illuminazione, Nazione kursiv geschrieben, was auch auf Englisch funktioniert und sogar auf Deutsch, jedenfalls wenn man es bei dem Fremdwort belässt. Der Eintrittspreis erscheint mir mit 20 Euro noch halbwegs zivil - dafür kann man einen Tag im Arsenal verbringen und einen anderen - nicht einmal den nächsten - in den Giardini, den Gärten. Das sind wohl hier die Gärten an sich, die keiner weiteren näheren Bestimmung bedürfen.

Die großen Hallen des Arsenals sind gerade recht als Rahmen für moderne Kunst. Teils rohe Ziegelwände, massive Ziegelsäulen, hohe Decken, die den Blick in die filigran wirkende Dachkonstruktion freigeben. Lang und breit. Die ersten Räume in einer langen Flucht sind fensterlos. (Alte Lagerräume? Für was wohl? Munition, Getreide?) Wie bei solchen Anlässen üblich gibt es jede Menge interessanter Ideen, die in meiner persönlichen Bewertung von inspirierend über ansprechend bis abstrus oder auch einfach nur "erschließt sich mir nicht" reichen.

Videoinstallationen werden gemeinhin überschätzt - besonders dann, wenn der Künstler oder die Künstlerin darin über mehr als eine Minute Konzepte ausführt. Mein eigenes Sehverhalten und das der anderen Besucher legt nahe, dass diese Konzepte im Leben nicht ankommen. Interessant war allerdings der Aufzug vom Subkontinent - eine Aufzugskabine mit vertikal abgespielten Filmen auf allen drei Seiten (Tür auf der vierten), die in Nullkommanix den Eindruck vermittelt, dass man wirklich Etage um Stockwerk nach oben saust und jedesmal gleich in ein anderes Interieur blickt. Eine indische Idee.

Der italienische Pavillon erscheint bunt und wild, das Mafia-Museum aus ??? ist auch vertreten, richtet sich aber vor allem an die italienischen Besucher, denn hier ist fast nichts zweisprachig. Die 10 Faktenkabinen, in denen man zulassen kann, dass einem unangenehme Wahrheiten auf die Pelle rücken, gleichen Saunakabinen - dass man schweissgebadet herauskommt, ist in erster Linie wohl doch den Temperaturen geschuldet und nicht den Fakten.

Den alten Meister (war's nun ein Tiepolo oder ein Tintoretto?), den man stolz als Zentrum der Ausstellung angekündigt hatte, gab es jetzt nicht mehr; wenn mein Italienisch ausreicht, hat das Verhalten des Publikums es unmöglich gemacht, das Werk weiter hängen zu lassen. Ts, ts, ts!

Keinesfalls unerwähnt lassen darf man auch den Gesamteindruck des Ortes. Wir sitzen später eine ganze Weile am Ufer und beobachten den regen Verkehr auf der Lagune. Ganz am Ende bemerke ich noch den chinesischen Pavillon, in dem ich auf das Werk stoße, das sofort mein persönliches Glanzlicht wird: eine Videoinstallation (nun doch), in der auf die zwei mit Tuschebildern von reifen Lotusblüten bemalten Wände eines von Mondtoren begrenzten Wandelgangs der Schnee von Buchstaben aus englischsprachigen (wohl kunsttheoretischen)Texten fällt. Klingt etwas kompliziert, ist aber eigentlich sehr einfach.

Dann haben wir genug gesehen und machen uns auf den Rückweg. Ich habe neue Schuhe, und die Füße tun mir darin ganz schön weh. :-(

Unterwegs machen wir in der Pizzeria da Roberto halt und dann noch einmal auf den steinernen Bänken im Wandelgang des Dogenpalastes. Irgendwie muss ich es hinbekommen, tagsüber schon ein bisschen mehr zwischendurch zu schreiben …

Montag, 12. September 2011

Montag, 12. September 2011: Sich treiben lassen

Das kontinentale Frühstücksbuffet hier in Venedig ist im Vergleich zu den Buffets in Asien ein Trauerspiel, aber der Frühstücksraum voll mit großformatigen Kunstwerken ist ansprechend. Da ich im Traum keine Eingebung hatte, fällt mir nur das Naheliegende ein: warum nicht gleich als erstes die Mosaiken im Markusdom bewundern gehen? Die Gassen haben auch ihren Reiz, und wir lassen uns nur halb zielstrebig Richtung Markusplatz treiben. Angeblich gibt es täglich um halb elf eine Führung. Als wir aber vor dem Portal ankommen, ist es zwar erst viertel nach zehn, aber die Schlange reicht bis fast zum Wasser! Unser "Arbeitsplan" erfährt eine kurzfristige Änderung.

Wir machen uns also auf einen Rundweg durch das Viertel San Marco, das hier aber kein Viertel ist, sondern ein Sechstel. Venedig scheint mir die einzige Stadt zu sein, die ihre "Abschnitte" einfach ganz undogmatisch gezählt hat. Sechs Sechstel machen ein Ganzes, und nicht siebzehn Viertel!

Wir beginnen da, wo wir sind (genial! ;-)) ), vor dem Dogenpalast, und gehen an Harry's Bar vorbei, in der in den 1930er Jahren der Koch das Carpaccio erfunden und nach einem Maler mit dem Vornamen Vittore benannt haben soll. Weiter geht es an der k.u.k. Hof-Hutfabrik von 1862 vorbei zur Kirche San Moisè. Darin wird es plötzlich so finster - draußen auch. Der Donner grollt und Burkhard läuft rasch zum Hotel, den Schirm holen. Warum aber so pessimistisch?? Die dunklen Wolken trollen sich bald, nicht ohne ein paar Tropfen zwar, aber die waren wirklich nicht der Rede wert. Am Nachmittag strahlt die Sonne, es ist lan lan de tian, wie die Chinesen sagen: blauer, blauer Himmel. Es ist in der Sonne schon fast zu heiß. Auf dem Campo Santo Stefano nehmen wir einen Eiskaffee zu uns - die Vermutung ist, dass das eine Kreation ausschließlich für deutsche Kunden ist, derer es reichlich gibt. Es scheint von allem reichlich zu geben. Franzosen, Österreicher, Engländer, Amerikaner, aber auch jede Menge Asiaten. Spanisch ist meinen Ohren bisher noch nicht so aufgefallen - bestimmt nur Zufall.

Der Eiskaffee ist mit 11 Euro fast geschenkt - so sind hier die Preise. Wer preiswert Urlaub machen will, ist hier definitiv falsch. La Serenissima, die Allerheiterste, beschäftigt sich gar nicht mit dem schnöden Mammon. - der Kellner gibt uns als Dreingabe noch Italienischunterricht: es sei nicht nötig, Espresso zu bestellen. Man könne einfach caffè verlangen, der Standardkaffee sei in Italien eben Espresso. Gerade eben haben wir das Gelernte nach dem Abendessen anwenden wollen - wieder verkehrt: Espresso?, kommt prompt die Rückfrage der Bedienung. Ja doch!!

Wir lassen uns weiter treiben, immer wieder zum Canale Grande, und immer wieder zurück in das Labyrinth von Gässchen, Straßen und Kanälen. Es gibt jede Menge Kunstgalerien und Läden mit Sachen, die die Welt nicht braucht. Aber auch jede Menge Kiiiirchen (bin Westfälin!), die entweder noch als Gotteshaus genutzt werden oder auch nicht. In San Maurizio gibt es eine Ausstellung historischer Streich- und Zupfinstrumente, darunter auch einige Experimentalgeigen mit Schalltrichter: das hat sich wohl nicht so durchgesetzt. Die Skelettgeige hingegen konnte neuerdings als e-Violine doch noch implementiert werden!

Santa Maria del Giglio lassen wir aus - wegen mehrerer Tintoretti und anderer Werke venezianischer Meister kostet es hier Eintritt, obwohl der Kirchenraum gar nicht attraktiv aussieht. Die Front ist dafür recht ausgefallen dekoriert, unter anderem mit reichlich Galeerenszenen, aber auch mit einer Reihe von "Stadtplänen".

Später landen wir wieder am Campo Santo Stefano und betreten diesmal auch den sehr ungewöhnlichen Kirchenraum. Sehr groß und weit, mit getäfeltem "Himmel" in Form einer Längstonne, die den Querschnitt eines Kleeblatts mit fünf Rundungen hat. Fotografieren und schulterfreie Bekleidung sind verboten; ein Herr im karierten Hemd sorgt für die Einhaltung. Nur allzu oft muss er mit erhobener Stimme durch die große Halle Leute zur Ordnung rufen.

Schließlich landen wir an der Rialtobrücke. Der Name soll von rivo alto kommen, hohes Ufer - na, so hoch ist es ja nun nicht. Überall in den Straßen und Gassen lagern Stapel von "Tischplatten" und recht kurze "Tischbeine": die mobilen Laufstege, die so immer schnell aufgebaut werden können, wenn die Ufer mal wieder nicht hoch genug waren.

Wir gehen zum Fischmarkt, und ich gebe hiermit ausdrücklich zu Protokoll, dass die Ca d'Oro jetzt nicht eingerüstet ist. Gestern Abend war sie sogar vom Schein bunter Neoninstallationen erleuchtet - heute warten wir in der blauen Stunde vergeblich. Vorher haben wir nett und teuer, aber nur mäßig gespeist: gleich neben den Markthallen mit Blick auf den Canale Grande und die mit der Abendsonne verblassenden Häuserfronten. Wunderbare Farben! - Dafür bin ich jetzt zu müde zum Korrekturlesen und hoffe, dass die Sätze alle stimmen und auch sonst nicht soviel Fehler darin sind.

Sonntag, 11. September 2011: Nach Venedig

Unser neues Zuhause liegt ja sooo bequem, wenn man ab Köln fliegen möchte: 5 min zur S-Bahn, 18 min Fahrt zum Flughafen. Viel bequemer geht es ja nicht!

Dafür müssen wir unser Gepäck extra bezahlen - miese Geschäftspraktiken von Online-Reiseanbietern. Das ist aber das Schlimmste an einem so denkwürdigen Datum (s.o.). Vor zwei Jahren bin ich auch schon am 11. September geflogen, aus den USA über Mumbai nach Shanghai, wenn ich mich recht erinnere …

Wir fliegen leicht verspätet ab. Die "Schuldigen", drei Schüler, kommen abgehetzt an, bekommen die Ohren langgezogen und eröffnet, dass ihr Gepäck schon wieder ausgeladen ist, aber sie selbst dürften noch gnädigerweise mit. Wir selber waren diesmal allzu früh - wollten ja nicht wie vor 19 Jahren auf unserer Hochzeitsreise den Flug verpassen.

Jetzt sind wir schon in der Lagunenstadt und nähern uns in einem wohl etwas defekten Wasserbus der Linie Alilaguna dem Canale Grande.

--- (Stunden später)

Wir haben das Hotel la Fenice et des Artistes gefunden, unser rot-golden tapeziertes Zimmer in Beschlag genommen und einen kleinen Gang zum Markusplatz gemacht. Der Abend war wie ein lauer Sommerabend, mit Vollmond und stickig-engen Gassen, und diversen Kapellen, die auf dem Markusplatz vor mäßig gefüllten Tischchen, aber dafür noch jeder Menge Stehpublikum launig aufspielten. Jede Menge Tango!

Jetzt muss ich schlafen und auf eine Traumeingebung für das morgige Programm warten. Leider bin ich vorab nicht so recht zum Lesen und Vorbereiten gekommen - und die eine heute gelesene Geschichte habe ich schon ausprobiert: an der vierten Säule auf der Seeseite des Dogenpalasts vorbeigehen, ohne von der Stufe zu fallen: ein Ding der Unmöglichkeit.