Sonntag, 17. Juni 2012

Freitag, 15. Juni 2012: Rückzug

Wir geben auf; der Wetterbericht verheißt gar nichts Gutes, und jetzt noch mit der "Hal-binsel" Cotentin anfangen lohnt auch nicht. Also gehen wir auf Einkaufstour und treten dann die Heimreise an - 695 km mit abwechslungsreichem Wetter: Nieselregen, leichter Landregen, mittelstarker Regen und das, was neuerdings "Starkregen" heißt. Sprich: Fahrgeschwindigkeit 80 bis 110 km/h (= in Frankreich vorgeschriebene Maximalgeschwindigkeit auf Autobahnen bei Regen), nur einzelne Spitzen mit 120 km/h (= wetterunabhängige Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen in Belgien).

Gut, dass ich am Vorabend auf dem Rückweg von Arromanches noch die Normandie-Ikone gesehen und fotografiert habe: eine Wiese mit Apfelbäumen, einige wohl spät blühend, darunter eine Herde normannische "Brillenkühe" (die haben dunkle Flecken um die Augen) samt Kälbchen, und es regnet - mehr Normandie geht nicht. :-))

Donnerstag, 14. Juni 2012: Instant-Hafen

Am Strand. Als wir nach Arromanches-les-bains (das und 'n Badeort?? na ja …) kommen, ist ablaufendes Wasser: gut so, so kann man vor der sandigen Bucht des kleinen Ortes, in überraschender Entfernung von 2 km (sieht viel näher aus), die Reste von 8 km "Instant-Mole" des Militärhafens sehen, den die Engländer in Fertigteilen vorbereitet hatten und dann 175 km über den Ärmelkanal geschleppt haben, um über einen keineswegs improvisierten, sondern sorgfältig geplanten "Instant-Hafen" den Nachschub für die alliierten Kräfte in der Normandieschlacht sicherzustellen.

Le prix de la liberté. Auf der Felsnase im Osten des Ortes haben Maria, der gekreuzigte Jesus, Bunkerreste und die Aussichtsplattform von einem seltsamen Rundbau Gesellschaft bekommen: darin läuft auf den 9 Leinwänden eines 360-Grad-Kinos der 18minütige Film "Der Preis der Freiheit" mit dem Anspruch, die Landung in der Normandie aus Sicht eines einfachen Infanteristen darzustellen, indem Archivmaterialien und Bilder von heute überlagert werden (das "making of" ist allerdings fast interessanter als der Film selbst).

Wilde Orchidee. Auf dem Weg zum 360-Grad-Kino entdecke ich am Wegesrand eine der heimischen wilden Orchideen, wohl Bienenragwurz - ich bin sehr stolz, dass ich sie an diesem völlig unerwarteten Ort nicht übersehen habe.

Musée du débarquement. Trocken und auch nicht uninteressant - hier geht es naturgemäß vor allem um das "Instant-Hafen"-Projekt, mit allen 'Schikanen': Panoramablick auf die Bucht, Modelle inclusive Seegang und Tidenhub, Filmdokumente, dicke Testberichte von einzelnen Vorbereitungsexperimenten, und Bedenkenträgerberichte mit Churchills später berühmt gewordenen Worten: "Let me have the best solution worked out. Don't argue the matter. The difficulties will argue for themselves." (Frei übersetzt: Kommt mir nicht mit Problemen, kommt mir mit der besten Lösung. Die Probleme stellen sich von ganz allein ein.)

Samstag, 16. Juni 2012

Mittwoch, 13. Juni 2012: D-Day ganz anders(herum)

Der Teppich von Bayeux. Teppich oder nicht Teppich, das ist eigentlich egal - hier wird auf 68,30 x 0,50 m Leinen in knapp 60 wollgestickten Szenen (9 Farben, mit 3 Färberpflanzen erzielt, und 4 Arten von Stickstichen) die Geschichte von Wilhelm dem Bastard erzählt, der zu einer Strafexpedition gegen Harold den Eidbrüchigen aufbricht, den am Samstag, 14. Oktober 1066, am späten Nachmittag auf dem Schlachtfeld das gerechte Urteil in Form eines tödlichen Pfeils ins Auge ereilt (wie vom Halleyschen Kometen schon am Tage seiner frevelhaften Krönung angedeutet) - die Schlacht bei Hastings hat zwischen 10 und 14 Stunden gedauert, heißt es, und das an einem Samstag: da sieht man doch, wie dringend nötig eine Soldatengewerkschaft ist!!

Kathedrale. An die Kathedrale von Bayeux (sozusagen hinten innen romanisch, vorn und außen gotisch) kann ich mich nicht erinnern - an ihre romanische Krypta mit musizierenden Engeln (ocker, schwarze Konturen, roter Hintergrund) auf den Deckenflächen oberhalb der Kapitelle aber doch.

Mémorial des reporters. Am Stadtrand bildet das 2008 errichtete Denkmal für Journalisten, die bei der Arbeit ums Leben kommen, mit dem Museum zur Normandieschlacht und dem Soldatenfriedhof ein Dreieck zum Innehalten; das Denkmal besteht aus Jahresstelen, auf denen die Namen von Reportern eingraviert sind, die seit 1944 umgekommen sind, und einem jetzt etwas matschigen Rasenweg zwischen den Stelen; den Beginn des Wegs zieren ein Kreis aus hellen Steinplatten und ein schlichter Stein mit einem Zitat von Simone de Beauvoir: "Sich frei zu sehen heißt immer auch, die anderen frei zu sehen."

Soldatenfriedhof. NOS A GUGLIELMO VICTIS VICTORIS PATRIAM LIBERAVIMUS* - Am Mahnmal liegen noch Gebinde von vor einer Woche - die Gabe von der NVA stammt aber nicht von Nostalgikern, die die Nationale Volksarmee weiterleben lassen wollen, sondern schlicht von der Normandy Veterans Association, die so langsam auch ausstirbt; auf dem Friedhof liegen überwiegend englische Soldaten aller Dienstränge und Truppenteile, aber auch reihenweise deutsche. Traurig.
*Für Nicht-Lateiner: Wir, die von Wilhelm (dem Eroberer) Besiegten, haben das Land des Siegers (von damals) befreit.

Donnerstag, 14. Juni 2012

Dienstag, 12. Juni 2012: Caen-Caen im Regen

Shopping. Wir kaufen sogar zwei neue Regenschirme, weitere Leggings und ein langärmeliges Hemd - und als Ausgleich gegen leichten Nass- und Kaltfrust "plündere" ich noch die BD-Läden in der rue froide (ja, die heißt wirklich so, und nein, so schlimm war es auch nicht - habe jede Menge in den Läden gelassen).

Mittagspause. Es wird und wird nicht besser mit dem Regen - wir sitzen ewig in einem Bar-Tabac, wohin alle möglichen Leute kommen, um dort ihr mitgebrachtes Mittagessen zu vertilgen und sich ein Getränk dazu zu bestellen; nach dem café au lait nimmt der Regen gefühlt eher noch zu, und auch der nachgeschobene chocolat chaud bringt keine Besserung. Seufz.

Abbaye aux hommes. Eigentlich wollen wir ja gar keine geführte Besichtigung machen, aber die Klostergebäude aus dem 18. Jhdt., später lange Zeit Schule, jetzt Stadtverwaltung, sind auch ganz nett, man kann die meiste Zeit in überdachten und windgeschützten Räumen verbringen, unter den Kristalllüstern der Benediktiner (Murano-Glas, aber nicht bunt, sondern mit Kreuzen verziert …) oder in den Prachttreppenhäusern mit breiten, frei tragenden Treppen; besonders schön ist der gotische Saal, in dem jetzt der Stadtrat tagt - hoffentlich resultieren so erhebende Räume in gehobener Qualität der Entscheidungen!

Abbatiale de St-Etienne. Die recht finstere romanische Kirche mit gotischem Chor, das Pendant zu Königin Mathildes Dreifaltigkeitskirche, beherbergt eine Grabplatte für Wilhelm den Eroberer, zu seinen Lebzeiten Conditor der Abtei (ja, so steht's auf der Platte - für alle Nichtlateiner: nein, er hat nicht etwa die Mönche mit Törtchen und Croissants versorgt, sondern bloß die Abtei gegründet), und eine Orgel des hierzulande berühmten Orgelbauers Cavaillé-Coll, der in seinem Leben 499 solcher Instrumente hergestellt hat.

Wilhelm der Eroberer. Mit den Zügen von Charlton Heston und eingekleidet von Dior (allerdings in einen Umhang gehüllt, von dem ich steif und fest behaupte, dass er aus Fensterleder besteht) steht die Wachsfigur Wilhelm des Bastards unter einer der erwähnten Prachttreppen gleich hinter der Sakristei, während einer seiner Oberschenkelknochen im Grab die Stellung hält - den reisefreudigen Rest hat's in alle Himmelsrichtungen verschlagen, in alter Tradition seiner Englandfahrt, die er bestimmt nur unternommen hatte, um den blöden Beinamen durch einen ruhmreicheren ersetzen zu können.

St-Pierre. Die dem heiligen Petrus gewidmete Stadtkirche gleich zu Füßen der Festung ist flammend flamboyant - sozusagen ein steinernes Spitzendeckchen mit mehreren Hainen von hängenden Schlusssteinen.

P.S. Manche Deutschen müssen die Leute in Caen doch sehr beneiden - nicht nur um die Schuhläden mit den ausgeflipptesten Sandalen, die garantiert mit den schönsten Konditoreierzeugnissen konkurrieren können, sondern vor allem um die D.MARK. Ich habe sie fotografiert.

Montag, 11. Juni 2012: Geschichte des 20. Jahrhunderts: einmal volltanken, bitte!

(o.k. … nur ein einziges Thema, da mache ich dann eine Ausnahme von der Ein-Satz-Regel, zumal die, die es kürzer lieben, schon hier mit dem Lesen aufhören können, denn in der Tagesüberschrift ist schon [fast] alles gesagt.)

Mémorial de Caen. Der "Untertitel" dieser Gedenkstätte lautet "ein Museum für den Frieden", und ich habe 9 (in Worten: neun) Stunden darin verbracht, ganz ohne Pause - es ist sehr gut, aber auch sehr teuer, denn incl. Audioführung ist man mit etwa 20 Euro pro Person dabei..

Die Geschichte des 6. Juni 1944 wird hier sehr gründlich ausgebreitet und wieder zusammengekehrt: es beginnt mit dem 1. Weltkrieg und dem Frieden von Versailles, legt einen Schwerpunkt auf den Themenkomplex "Weltkrieg, totaler Krieg" mit ein paar Berührungspunkten zur Gedenkstätte in Nanjing (für das dortige Massaker 1937), zeigt natürlich viel über die Normandie-Schlacht und bringt dann die Entwicklungen des kalten Krieges, bevor zumindest dieses schreckliche Kapitel nach einigen Schlaglichtern auf Berlin mit dem Fall der Mauer fertiggeschrieben wird; ein Film stellt die Frage, ob die Menschheit denn nun etwas gelernt hat, und wagt leise Hoffnung …

[Ich hatte übrigens gehofft, dort zu lernen, wie man ein sehr komplexes Thema so aufbereitet und zusammenfasst, dass man es in einer Viertelstunde konsumieren und verstehen kann - die Hoffnung wurde leider (aber erwartungskonform) enttäuscht - als Entschädigung habe ich wenigstens mein erstes Mauerstück gesehen!]

Dienstag, 12. Juni 2012

Sonntag, 10. Juni 2012: Caen, Festung, demilitarisiert

Festung. Ein etwas höherer Hügel, von dem aus man einen schönen Panoramablick über das Umland hat: das fand schon im 11. Jhdt. Wilhelm der Eroberer prima und hat eine schöne Festung anlegen lassen - mit immerhin so weiten Mauern, dass im Falle eines Falles die Bewohner der Stadt, die sich am Fuße des Hügels entwickelt hat, darin Zuflucht finden konnten; heute überspannen feste Brücken den breiten Burggraben und alle Tore stehen offen, so dass die Besucher scharenweise hereinbrechen und sogar auf Mauern und Türmen herumlaufen können.

Musée des Beaux-Arts. Eine ansprechende moderne Museumsarchitektur innerhalb der alten Festungsmauern, darin eine hochkarätige Gemäldesammlung vom 15. Jhdt. bis zur Gegenwart, meistenteils sehr gut präsentiert, und das in nicht allzu kalten und vor allem trockenen Räumen - wenn das nicht das Angenehme mit dem Nützlichen verbindet!

Musée de Normandie. Von der Steinzeit (hier auch Dolmen und Tumuli!) bis zur Gegenwart in trockenen Räumen - mir haben die Holzschuhe mit geschnitzten Zehen am besten gefallen: da kann man sich auch unbesorgt drauftreten lassen.

Abbaye aux dames. Im Westen der Stadt und in Sichtweite der Abbaye aux hommes befindet sich die Grablege der Königin Mathilde in der Abteikirche Ste-Trinité; die Gründung der Abtei war die Gegenleistung für die Gehmigung der Ehe mit Wilhelm dem Eroberer, ihrem "Cousin fünften Grades" (ab dem siebten Grad sei es erlaubt gewesen) - aber ist das eine Entschuldigung dafür, dass die Krypta geschlossen war??

Prozession. Auf der Suche nach einem Restaurant, das sonntagabends geöffnet hat, begegnet uns eine Fronleichnamsprozession - ein freundlicher Herr verteilt Zettel mit einem Gebet von Franz von Assisi und Infos über Fronleichnam und dass das ein Freudenfest sei, aber das kommt leider keineswegs so über: das Weihrauchfassschwenkerballett und die monotonen Gesänge wecken eher Erinnerungen an Monty Python's Büßerprozession … dona eis requiem … mwrovv.

Montag, 11. Juni 2012

Samstag, 9. Juni 2012: Mehr Käse und Gartengeheimnisse

Camembert - der Ort. Drei Häuser, eine Kirche mit Kirchhof, ein Rathaus, das feingemachte Fachwerk-Anwesen, in dem Marie Harel einen flüchtigen Mönch versteckt und später dessen Käsegeheimnis zur Basis einer Erfolgsgeschichte verfeinert hat, und ein Museum sowie eine 'maison du Camembert' - da kann sich Pont-l'Evêque ein Tortenstück von abschneiden.

Camembert - das weltweit bekannte Markenprodukt. Von einem Bauernmädchen "erfunden", Napoleon schmackhaft gemacht (1. Streich), mit der neuen Zugverbindung nach Paris geliefert, bunte Etiketten als Mittel der Kundenkommunikation erfunden (2. Streich - damals gab es angeblich außer Erbauungsbildchen noch keine farbig bedruckten Papiere in Privathaushalten), im 1. Weltkrieg jede Woche eine Tagesproduktion für die französischen Soldaten gespendet (3. Streich), Produktion industrialisiert, weltweiten Vertrieb aufgebaut, durch den Einsatz von pasteurisierter Milch den Käse standardisiert und so auf Massengeschmack und Vertrieb im Supermarkt-Kühlregal ausgerichtet (4. Streich) und dann trotzdem noch eine AOC-Variante kreiert: so macht man das. Von wegen Bauernhof-Idylle!

St-Pierre-sur-Dives. Heute ein Nest, hat St-Pierre-sur-Dives eine lange Geschichte, von der eine große Abteikirche, ein Kreuzgangflügel und ein Kapitelsaal zeugen - noch faszinierender ist aber die große geschlossene Markthalle (85 m lang) aus dem 11. Jahrhundert, in der also seit fast 1000 Jahren Markt abgehalten wird.

Gartenführung. Eine Tür- und Augenöffnungssonderführung durch private (Winter-)Gärten bringt uns ein Handwerk nahe, das ich bisher immer eher abfällig betrachtet habe: das des "rocailleur" oder "cimentier", der aus Drahtgerüsten und Zement die schönsten Felslandschaften und Baumstämme kreiert - die Italiener sollen hierin besonders bewandert gewesen sein, und die Chinesen mit ihrer Vorliebe für bizarre Steinformationen auch im Gartenformat hätten sie bestimmt um die Ergebnisse ihrer Arbeit beneidet.

Hausbesichtigung. Einer der Gartenbesitzer lädt die 8 Teilnehmer der Führung auch noch ins Haus ein - da ist das Dilemma: was tun mit einem schönen großbürgerlichen Haus vom Ende des 19. Jhdts., wenn man weder im Museum leben will noch restaurieren oder neu gestalten kann? Warten, bis der aufwendig geschnitzte hölzerne Kamin, die Wandvertäfelungen, die famose Stuckdecke verfallen?

Caen. Am späten Nachmittag machen wir einen ersten Orientierungsgang in Caen - sieht vielversprechend aus, mit interessanten Kirchen und einer großen Festungsanlage mitten in der Stadt, ein Zentrum geistlicher und weltlicher Macht, heute von einer pinkfarbenen Welle durchschwappt, denn es findet offenbar eine Art "WeiberVolksLauf" statt.

Sonntag, 10. Juni 2012

Freitag, 8. Juni 2012: Alles Käse

Deauville. Deauville ist das ungleiche Pendant zu Trouville am linken Ufer der Touques: nichts Bodenständiges beschwert die Schickeria-Sommerfrische mit Markenboutiquen, Kasinoeleganz und Starrummel sogar an den (Strand-)Brettern, die hier ganz sicher die Welt bedeuten - allerdings ist der Jahrmarkt der Eitelkeiten noch nicht eröffnet, so dass ein Fototermin zum Thema "in den 1950ern elegant am Strand" mit Hut und Handtäschchen im Liegestuhl zwischen zusammengeklappten Sonnenschirmen - Gänsehaut inbegriffen! - die größte Attraktion darstellt.

Pont-l'Évêque. Kontrastprogramm zum Edelschmalz: das Dorf mit dem berühmten Namen eines viereckigen Weichkäses hat so gar nichts zu bieten - am sehenswertesten sind noch die hängenden Schlusssteine in den Gewölben der im Krieg stark zerstörten Kirche St-Michel.

Lisieux. Wenn der Name Theresienstadt noch nicht oder wenigstens an einen weniger furchtbaren Ort vergeben wäre, wäre es der richtige für Frankreichs zweitwichtigsten Pilgerort - hier dreht sich alles, was sich überhaupt dreht, um das fromme Mädchen, das die Schwindsucht 1897 im Alter von nur 24 Jahren dahingerafft hat; insgesamt wirkt die Stadt aber gleichgültig-alltäglich: kein Vergleich mit Lourdes.

Livarot. Nur wenige Kilometer südlich der "Bischofsbrücke" liegt die Heimat der nächsten "Käse-Ikone", des runden Weichkäses Livarot mit der etwas rötlichen Rinde; die Firma E. Graindorge, die in industriellem Maßstab alle vier AOC-Käse* der Normandie herstellt, lässt sich in einem ganz gut gemachten Parcours in die Milchbottiche und Reifungshallen schauen.
*Außer Livarot und Pont-l'Evêque sind das noch Neufchâtel und natürlich (come on, Bert!) Camembert - das AOC-Siegel dürfen aber nur die Käse tragen, die aus Rohmilch gemacht sind.

Vimoutiers. Camembert schaffen wir heute nicht mehr, und es ist auch ein solches Nest, dass wir im nächstgrößeren Kuhdorf (im wahrsten Sinne des Wortes: den Platz vor dem Rathaus ziert ein bronzenes Rindvieh) unterkommen müssen und noch ein wenig Dorfleben schnuppern können - dafür, dass 1944 in einer Stunde 29 Tonnen Bomben alles in Schutt und Asche gelegt haben, wirkt es noch relativ nett: eine amerikanische Pilotenvereinigung hat später den Wiederaufbau unterstützt.

Donnerstag, 7. Juni 2012: Und das ist geblümt

Pont de Normandie. Das Wunderwerk der Brückenbaukunst, das die Seinemündung überspannt, ist gerade in der Waschanlage, so dass wir trotz 5,20 Euro Brückenmaut wenig Vergnügen haben.

Honfleur. Auch in der Waschanlage, als wir kommen - so zeigt sich die Stadt mit dem Bilderbuch-Hafenbecken später frisch gewaschen von ihrer Schokoladenseite: kein Wunder, dass Maler aller möglichen Richtungen hier gern ihre Staffeleien aufgestellt haben.

Maisons Satie. In "Esot-Erik" Saties Geburtshaus erinnern audiovisuelle Installationen inklusive einer großen geflügelten Birne an Leben, Gedankenwelt und Tod dieses scharfsinnig-/-züngigen Künstlers (1866-1925) - die Hauptrolle spielen aber seine Musik und sonstigen Werke: gut gemacht, unbedingt hingehen!

Musée Boudin. Eugène Boudin, der neben Satie bekannteste Sohn von Honfleur (so die Gemeinplatz-Formulierung) mit einer offensichtlich vom leiblichen Vater geerbten dicken Nase, hat Monet an die künstlerische Hand genommen und ihn das Malen in der Natur gelehrt - Arbeiten von Lehrer und Schüler bereichern jetzt die durchaus bemerkenswerte Gemäldesammlung.

Ste-Cathérine. Die größte Holzkirche Frankreichs ist natürlich aus genau diesem Grund eine Sehenswürdigkeit, die mich aber ansonsten nicht besonders beeindruckt hat, von der relativ großen Helligkeit im Innern vielleicht abgesehen - interessanter ist schon der freistehende* Glockenturm mit breiter Steinbasis, schmalem Turm und schrägen Stützbalken; der hält schon jahrhundertelang und ist auch oft gemalt worden (z.B. von Monet), obwohl oder gerade weil er eigentlich einfach nur komisch und unharmonisch aussieht.
*Freistehend ist er wegen großer Einsicht oder mangelnden Selbstvertrauens der Architekten: die befürchteten, die Holzkonstruktion ihrer Kirche würde einstürzen, wenn die Glocken eines integrierten Turmes das Gebälk in Schwingungen versetzten.

Villerville. An der geblümten Küste (die heißt so: côte fleurie) liegt auf halber Strecke zwischen Honfleur und Trouville ein Nest namens Villerville mit Strand, Park, Promenade, Casino (!!) und Blick auf Le Havre auf der anderen Seite der Seine-Mündung, das zwischen Halbschlaf und Tagtraum den Beginn der Saison erwartet.

Trouville-sur-mer. Villen aller Stilrichtungen - vom verspielten Fachwerkgebilde mit Türmchen und Erkern über Mini-Loireschlößchen bis zu ehrfurchtgebietenden Palastklötzen - säumen direkt den breiten Strand und erlauben ungehinderten Zugang zu den berühmten planches, dem Brettersteg, auf dem man trotz Strand elegant den letzten Schrei aus Paris präsentieren kann, während entlang der rechten Seite der Touques-Mündung Fischerboote, der Fischmarkt und kreischende Möwen für etwas Bodenständigkeit sorgen.

Freitag, 8. Juni 2012

Mittwoch, 6. Juni 2012: D-Day ganz anders(wo)

La Ferme de la Chapelle. Wir haben in einem alten Bauernhof, angeblich aus dem 16. Jhdt., gleich neben dem segnenden Blick der goldenen Madonna auf dem Dach des Turms der Wallfahrtskapelle Quartier genommen, und ordnungsgemäß leben wir ab sofort mit diversen Tieren: beim Frühstück würden uns die Gänse vor der Glastür am liebsten das Brot vom Teller gucken, und auch das Innenleben meines Rucksacks studieren sie genauestens - wie gut, dass da eine Scheibe ist.

Étretat. Wir spazieren westlich und östlich des kleinen Städtchens, das sich in einem Einschnitt zwischen den Steilklippen quasi "ins Meer ergießt", daran nur von einem Streifen mindestens gänseeigroßer Kiesel gehindert, die wegzunehmen unter Strafe (90 Euro) verboten ist; das wird in sechs Sprachen einschließlich Chinesisch verkündet: es gibt also kaum Ausreden.

Les Falaises. Von oben sind sie wenig spektakulär - hier alles grün (auch Golfplatz!), draußen auf dem Meer alles graugrünbraun-metallisch, dazwischen meine leichte Panik, ich könnte die Kante zwischen beidem übersehen, denn es geht wirklich wandsteil und ziemlich tief hinunter; je nach Wetter vor schmutzig-grauen oder recht weiß leuchtenden Wänden mit deutlich sichtbaren waagerechten Lagen von Feuerstein: kein Wunder, dass Monet und allerhand andere Maler die Landschaft haben Modell stehen lassen.

Eisbecher "Coupe mimi".
Auf der Strandpromenade.
Die Bedienung verkündet den Mangel mit entwaffnendem Charme.
Duft von frisch karamellisierenden Äpfeln.

Yport. Ein weiteres Küstenstädtchen von ähnlichem Zuschnitt wie Étretat: Felswände, die noch beeindruckender sind als dort, weil man sie hier direkt von unten sieht, dazu ein Blick auf Fécamp und vor allem ein wunderbarer und vielfarbiger Algengarten, der bei Ebbe zwar etwas traurig darniederliegt, aber dafür auch mit Seeanemonen aufwarten kann.

Hafen von Fécamp. Ein offenbar von Freizeitskippern frequentierter Anlegeplatz, an dem die besseren Nussschalen in einer Art Hochregallager auf den nächsten Törn warten.

Donnerstag, 7. Juni 2012

Dienstag, 5. Juni 2012: Es ist ein Brauch von alters her: wer die Pest hat, hat Likör

Aître der Brisgaret. Montivilliers hat nicht nur sein altes Frauenkloster, sondern auch mehrere Friedhöfe und einen alten überdachten Beinhausgang von 1548 mit "makabren" Schnitzereien (das Skelett mit der Sense ist am besten erhalten und paradoxerweise sehr lebendig), ein gotisches Steinkreuz und einen supernetten Friedhofswärter, der uns die stark renovierungsbedürftige Kapelle aufschließt und mit einem Eimer Wasser die Inschriften und eingeritzten Bilder auf dem Grabstein des kleinen Mädchens hervorzaubert, das Anfang des 17. Jhdts. im Alter von vier Jahren ertrunken ist.

Ste-Trinité de Fécamp. Eine weitere der großen und erfolgreichen normannischen Abteien, wovon heute fast nur noch die ziemlich riesige Kirche (127 m lang) zeugt: sehr hell, überwiegend gotisch, zwei romanische Chorkapellen, ein Heilig-Blut-Tabernakel, Kapellenschranken im Stil und Geist der Renaissance und eine für meinen Geschmack scheußliche barocke (?) Fassade, dazu eine astronomische Uhr von 1667, die - eine echte Besonderheit! - den Tidenstand anzeigt.

Palais Bénédictine. Wer denkt, Marketing, Branding und Intellectual Property Management wären noch relativ neue Erfindungen, möge nach Fécamp fahren und sich den Kräuterlikörpalast eines gewissen Alexandre LeGrand ansehen (nein, das ist nicht derselbe wie DER Alexander der Große) - das gibt's alles schon seit Mitte des 19. Jhdts.

Cap Fagnet. Im Osten der Stadt bekrönt eine ziemlich große Marienwallfahrtskapelle den Felsen, in der es Dankesbilder von geretteten und Gedenktafeln für verschollene Seeleute gibt; draußen auf den Klippen bezeugen diverse Bunker die Existenz des Atlantikwalls, fünf Windräder erzeugen Ökostrom, und man hat einen guten Blick auf die weißen Steilwände der Alabasterküste.

Mittwoch, 6. Juni 2012

Montag, 4. Juni 2012: Schafskälte in Le Havre

Die Kathedrale Notre-Dame. Das Bemerkenswerteste an dieser Kirche ist, dass sie noch da ist und die Bombardierung halbwegs überstanden hat - wie es in Zukunft weitergeht, ist aber ungewiss, denn auf der Tafel, die die Namen der Pfarrer seit der Gründung im 16. Jhdt. verzeichnet, ist die letzte Zeile mit dem Namen des jetzigen Stelleninhabers gefüllt. Abergläubisch?

Musée Malraux. Brrrr! Die haben zwar über Mittag geöffnet, dafür aber erst ab 11 Uhr - zum Glück machen die oft sonnigen Eindrücke der Eindruckskünstler Kälte, Grisaille und Regen vergessen, besonders das beeindruckende Arrangement der mehr als 100 Boudins auf drei Wandflächen, je einer für Himmel und Meer, Wald und - Kühe. Muuuuh.

Maison der l'Armateur. Ein schönes altes Haus aus den Tagen der französischen Revolution - 25 Zimmer auf 5 Etagen, um einen achteckigen Lichthof von vielleicht drei Metern Durchmesser angelegt, damals mit dem Hauptzweck, Wohlstand zu demonstrieren, heute halb Museum für Stadtgeschichte, halb museales Wohnhaus. Originell!

Docks Vauban. Das neue In-Viertel - wir konzentrieren uns auf das Einkaufszentrum, das (relativ) warm und trocken ist: in der Buchhandlung decke ich mich mit neuen "BD" (nichts Schlimmes, bloß Comics) aus der reichlichen französischsprachigen Produktion ein; in einer kleinen Ausstellung mit dem Titel "Le Havre, ville graphique" zeigt ein mir lustigerweise seit gestern persönlich "bekannter" Künstler seine Variationen, zu denen ihn der Stadtplan mit dem monumentalen Dreieck inspiriert hat.

P.S. Schafskälte? Wieso eigentlich, kommt die nicht erst Mitte Juni?

Dienstag, 5. Juni 2012

Sonntag, 3. Juni 2012: Zwischen Garten und Strand: Urbanismus aus dem Vollen

Die hängenden Gärten. In einem der drei alten Forts herrscht geschütztes Mikroklima, bestens geeignet zur "Aufzucht" von Gewächshäusem (die Fläche innerhalb der Mauern ist damit schon halb "zugewachsen" - das Schönste daran: drinnen ist es warm und windgeschützt!!) und zur Anlage von "Kontinentalgärten" auf den Festungsecken, mit Schwerpunkt auf den Urformen der jeweiligen Pflanzen, und auf der Südseite mit tollem Ausblick auf die Stadt.

St-Josephe. Von außen eine Mischung aus Leuchtturm und abschussbereiter Rakete, lenkt die Struktur der 107 m hohen Betonkirche von Auguste Perret aus den 1950er Jahren im Innern alle Aufmerksamkeit auf den Hochaltar im Zentrum und von dort gen Himmel, wohin sie der achteckige Turm darüber wie ein gut ziehender Kamin quasi vom Irdischen fortreißt, unterstützt durch die Wirkung der zwölftausendsiebenhundert und noch ein paar farbigen Glasstücke in den Wänden.

Rathausturm. Auf der Aussichtsterrasse des Rathauses (17. Stock, gähn!) erklärt uns (und drei Einheimischen) ein Stadtführer die Geschichte von Le Havre von den Anfängen bis fast heute - nach ewigen Jahren und Jahrhunderten drangvoller Enge mit allen unerfreulichen Begleiterscheinungen wollte Auguste Perret mit seinem Lieblingsbaustoff Beton aus der Not der vollständigen Zerstörung des Stadtzentrums eine Tugend machen und den Einwohnern schnell und kostengünstig Licht, Luft, Raum und Ruhe verschaffen, was ihm mit ziemlich zweckmäßigen und trotzdem attraktiven Bauten erfreulich gut gelungen ist.

Musterappartement Auguste Perret. Ein ganzes Leben zwischen zwei Fassadenstücken von genau 6,24 m Breite (das optimale Maß für den Abstand zwischen zwei Stahlbetonpfeilern), und zwar ein ultramodernes, weitgehend flexibles und gleichzeitig fast zeitloses - dort einziehen zu müssen, wäre für mich keine Strafe.

Avenue Foch. Diese 80 Meter breite Prachtstraße, sozusagen die Champs-Elysées von Le Havre, bildet mit dem boulevard de Strasbourg die West-Ost-Achse, und mit der rue de Paris, der anderen Straße mit Hauptstadtflair (Flaniergalerien à la rue de Rivoli), die streng in Nord-Süd-Richtung verläuft, das monumentale rechtwinklige Dreieck, an dessen Scheitelpunkt der ebenso monumentale Rathausplatz liegt: einer der größten Plätze Europas überhaupt.

Strand. Schweres Terrain, da mit großen Feuersteinknollen und anderen Kieseln bedeckt, aber dafür mit schönem Blick über einen großen und beliebten Skatepark auf die porte océane, das monumentale "Tor", das die beiden Gebäudekomplexe am Ende der avenue Foch bilden, und den falschen Leuchtturm von St-Josephe; beim Sammeln von "Nordseesmaragden" stoße ich auf einen wassermelonengroßen Kiesel wie aus einem surrealistischen Bild: er ist aus roten Ziegeln gemauert.

Montag, 4. Juni 2012

Samstag, 2. Juni 2012: Bis ans relative Westende der lokalen Welt

Rechts und links der Seine. Durch ein Kalkplateau mäandert die Seine in breiten Schleifen, die es zwar zum Nationalpark ('Parc naturel des boucles de la Seine') gebracht haben, in denen es aber wohl eher auf die kleinen Wunder der Natur ankommt, denn selbst von ausgewiesenen Aussichtspunkten aus gibt es nichts Spektakuläres zu entdecken - das Bemerkenswerteste ist, dass man die Autofähre kostenlos benutzen kann.

Lillebonne. Die spinnen, die Römer - nix zu wohnen, nix zu tanken, über Mittag ewig nix zu sehen, und die Abbaye der Valasse haben die Nachkommen der Leute aus Juliobonum in einem Freizeitpark verwurstet - da hilft auch das alte römische Theater aus dem 1.-3. Jhdt. nicht.

Montivilliers. Eins der wenigen nennenswerten Frauenklöster der Normandie, gegründet 684 vom heiligen Philibert, das nach ruinösen Zeiten und Ge- oder Missbräuchen liebevoll wieder hergerichtet und mit einem Hauch Spiritualität sowie einem informativen audio-visuellen Parcours ('Cœur des abbayes') versehen wurde - total gut gemacht und sehr lehrreich (vor allem, wenn man noch nichts weiß), - nur der genius loci oder was weiß ich welcher Geist konnte noch nicht zur Rückkehr bewegt werden. Schade.

Le Havre. Wir machen einen ersten Rundgang in schlechter werdendem Wetter - das ist wirklich eine eindrucksvolle Stadtplanung; schließlich hat auch die UNESCO den Wiederaufbau der im zweiten Weltkrieg gründlich zerstörten Stadt nach Plänen von Auguste Perret geadelt, indem sie das Projektergebnis 2005 in die Weltkulturerbeliste aufgenommen hat.

Sonntag, 3. Juni 2012

Freitag, 1. Juni 2012: Auf der Abteienstraße

St-Martin-de-Boscherville. So heißt das Dorf, seine Pfarrkirche, früher Abteikirche eines bedeutenden Benediktinerklosters, ist aber dem heiligen Georg geweiht und eine der wenigen romanischen Kirchen der Normandie, überraschenderweise lichtdurchflutet, ergänzt durch den romanischen Kapitelsaal, einige Klostergebäude neueren Datums und vor allem durch einen wiederhergestellten klassischen französischen Nutz- und Ziergarten auf mehreren Terrassen: pssst! ein echter Geheimtipp! weitersagen!

Jumièges. Eine weitere große romanische Abtei, von der aber nur noch überaus imposante Ruinen in einer Parklandschaft übrig sind, in der die klassischen schmalen Klappstühle aus Holzlatten und Eisengestell, hier komplett weiß gestrichen, in kleinen Grüppchen herumstehen wie die Indizien in Peter Greenaways Kontrakt des Zeichners.

St-Wandrille. Ein Ort, an dem seit dem siebten Jahrhundert Mönche leben, wenn auch mit Unterbrechungen - aber nach majestätischer Größe im Mittelalter, von der ein Stück südliches Querschiff und riesige Pfeilerbasen zeugen, und späteren Hochzeiten, manifestiert in klassizistischen Prachtbauten, fühlt es sich heute nach frömmelnder Demut an, wenn das Gebet in einer großen, aber unfroh-finsteren ehemaligen Zehntscheune stattfindet.

Caudebec-en-Caux. Die reichverzierte Kirche im Flamboyant-Stil ist ein vermutlich oft übersehenes Juwel am Wegesrand, das außer seiner Fassade auch mit alten (16. Jhdt.) und neuen Glasfenstern und einem eindrucksvollen hängenden Schlussstein aufwartet.

"Hotel Normandy". Nein, es heißt ganz brav französisch Hôtel der Normandie und man wird auch nicht mit Patricia Kaas bedudelt - die Aussicht auf die Seine, deren Wasserstand hier deutlich von den Gezeiten beeinflusst wird, ist trotzdem schön, auch ganz ohne Strand.

Freitag, 1. Juni 2012

Donnerstag, 31. Mai 2012: Rouen für Fortgeschrittene

Musée des Beaux-Arts. Man hat Geld für die Kunst und stellt das (zusammen mit einigen erstklassigen Werken) mit dem diskreten Charme der Bildungsbourgeoisie aus, nicht ohne den Bestand des Hauses an einigen Ecken in einen vorsichtigen Dialog mit zeitgenössischen Künstlern und ihren Ideen treten zu lassen - merke: nicht alles, was wie ein Schatten aussieht, ist auch einer.

Musée de la Ferronnerie. Eines der Museen, die man vielleicht nicht unbedingt wegen ihrer Sammlung (die aber auch interessant und teilweise sogar lehrreich ist) besucht, sondern als Gesamtkunstwerk: der "Himmel" einer säkularisierten gotischen Kirche hängt voller schmiedeeiserner Kunststücke, und was nicht groß genug ist zum Aufhängen - wie etwa Schlüssel-Meisterstücke -, wird im Erdgeschoß und im ersten Stock der Seitenschiffe in Vitrinen präsentiert.

Ste-Jeanne d'Arc. Ein genialer Kirchenneubau des baskischen Architekten Arretxe (?) aus dem Jahre 1979, bei dem man nicht weiß, was man höher schätzen möchte: den kühn geschwungenen Raum oder die Fenster aus der zerstörten Kirche St-Vincent, die höchst innovativ eins neben dem anderen die ganze Breite der nach Norden ausgerichteten Fensterfront einnehmen und trotz ihrer etwa 500jährigen Vergangenheit in allergrößter Farbfrische und -kraft erstrahlen.

Gros Horloge. Eine Kombi-Visite verschafft Überblick über die Stadt von der Aussichtsplattform des Glockenturms und Einblick in die astronomische Uhr von 1389 (!) mit einem heute verschollenen Mechanismus zum Bewegen der Zeiger auf dem Zifferblatt, das sich auf dem Torbogen neben dem Turm befindet, während das Uhrwerk gleich neben der Plattform unter dem Turmdach zu bewundern ist.

An der Seine. Fest vertäut liegt ein Flusskreuzfahrtschiff gleich unterhalb der Altstadt; wir promenieren bis zum alten Tidenschreibertürmchen ('marégraphe'), um das herum jetzt eins der überall auf der Welt gleichen Dockwiederbelebungsviertel entsteht, während die "richtigen" Schiffsabfertigungsanlagen aus Größengründen erst ein Stück weiter flussabwärts dafür sorgen, dass Rouen, obgleich gefühlt sehr im Landesinneren gelegen, immer noch der fünftgrößte Hafen Frankreichs ist.

La Couronne. Das ist schon was: das älteste Gasthaus Frankreichs von 1345, wo vielleicht die für Johanna zuständigen Folterknechte noch schnell was zu essen bestellt haben, als sich die Sache hinzog - jedenfalls prangt ein frisch-freches Foto der Nationalgöre auf der Speisekarte, von der man alles bestellen konnte, bloß nicht die größte Spezialität des Hauses.

Donnerstag, 31. Mai 2012

Mittwoch, 30. Mai 2012: Ich bin dann mal weg - auf Impressionistenpilgerfahrt

Am Unterlauf der Seine. Ein Wirtschaftsweg mit langer Geschichten und vielen Schleifen; wir überschauen ihn, nicht unbelehrt, von einem Panoramapunkt in einem nichtssagenden Örtchen an der route nationale, und bewundern die alte Fachwerkmühle von Vernon, die malerisch und fotogen auf einem alten Brückenstumpf neben einer eigentlich viel malerischeren Schlossfestung liegt, von wo aus der Wasserwirtschaftsweg früher wohl nicht nur mit Argusaugen, sondern auch mit schwerem Geschütz kontrolliert wurde.

Giverny. Wenn dieses Dorf in China läge, wäre es längst in "Claude-Monet-Stadt" umbenannt worden.

Fondation Claude Monet. Ein herrschaftliches Haus mit recht farbigen Zimmern (jedes in seiner eigenen), einer (Überraschung!) hervorragenden Sammlung japanischer Farbdrucke (?), einem ausgewählt-edelbunten Garten, Federvieh und dem berühmten Seerosenteich, an dem dicke Frösche ein Konzert geben.

Musée des impressionistes in Giverny. Meine größte Enttäuschung: es gibt gar keine Dauerausstellung, sondern nur die bestimmt hochkarätige Ausstellung "Der ewige Frühling" (L'éternel printemps) mit Werken von Maurice Denis, der in den 1890er Jahren in einer überwiegend rosa-grün-bräun-scheußlich gehaltenen Palette für meinen Geschmack furchtbare Gemälde in Jugendstilformensprache gepinselt hat - am witzigsten war noch die Dame im Tarnoberteil vor dem großen Ausstellungsplakat am Eingang.

Château Gaillard in Les Andelys. Das Monument Historique, das aus vergleichsweise luftiger Höhe diverse Seineschleifen strategisch überschaut, hat natürlich gemäß staatlicher Standardöffnungszeit längst zu, als wir ankommen - mit dramatischem Regenhimmel und ebenso dramatischen Ruinenwänden dank Teilschleifung bleibe ich hin- und hergerissen zwischen Recht-der-ersten-Nacht-Schauder und Botanikerglück angesichts der zahlreich vorkommenden Pyramidenragwurz(?)-Orchideen.

Dienstag, 29. Mai 2012

Dienstag, 29. Mai 2012: Von hier nach da - zu Fuß unterwegs in der Altstadt

Tour Jeanne d'Arc. In den Straßenzügen, die zwischen Morbidität und Bürgerstolz changieren, trifft man auf jede Menge kreative und engagierte Existenzen, die sich in Ladenlokalen ausdrücken - und ganz plötzlich auf den einzigen Rest des mittelalterlichen Schlosses: Rapunzel, lass dein Haar herunter!

St-Ouen. Ein großer, ehemals benediktinischer Abteikomplex mit riesengroßer, lichtdurchfluteter, ansonsten aber weitgehend entseelter Kirche, umgeben von einem für die Mittagspause sehr beliebten Park mit allerhand Eklektischem.

Aître St-Maclou. Der von einer geschlossenen zweistöckigen Fachwerkfront umgebene ehemalige Pestfriedhof mit Knochen-und-Schädelschnitzerei an den Balken bietet eine einmalige Atmosphäre - heiter (!) und friedvoll, wenn da nur nicht die zahlreichen Schulklassen wären …

Kathedrale Notre-Dame. Fast so groß wie St-Ouen, weniger entseelt, aber dafür irgendwie langweiliger trotz Rollo, Wilhelm Langschwert und Löwenherzens Herz - mehr Staunen und Vergnügen bescheren die Außenansichten von allerlei Seiten, bevor man sie sich aus Monets Augen und Pinsel ansieht.

Pfingstmontag, 28. Mai 2012: Nach Rouen

Unser Urlaub führt uns dieses Jahr in die Normandie. Drei Wochen! Und damit das Tagebuchschreiben nicht in zuviel Arbeit ausartet - ich will mich schließlich erholen -, habe ich beschlossen, ein neues Format auszuprobieren. Überhaupt kein Tagebuch ist nämlich für mich auch keine rechte Alternative. Es soll etwas werden zwischen Bloggen und Twittern, zwischen Kleist'scher Prosa und japanischem Haiku - weniger beschreibend, mehr destillierend (wenn's denn gelingt, sicher gar nicht so leicht!): ein Satz je Objekt der Besichtigung. Es braucht auch kein grammatikalisch vollständiger Satz zu sein. Soweit die Spielregeln.

Auf der Autobahn immer westwärts, urlaubswärts: la France. In Rouen, einer jungen Stadt (den Leuten nach zu urteilen, die auf den Straßen unterwegs sind), geht man auf wenigen hundert Metern Achterbahn zwischen altem gotischen Glanz, Bürgerherrlichkeit mit wohlrestaurierten Fachwerkbauten, 1970er Höhenflügen in Form der Kirche Jeanne d'Arc, deren Betonhülle an die Oper von Sydney und an Tempel im Minangkabau-Stil denken lässt, und desolaten Ecken noch in der Fußgängerzone, wo "Menschen mit Migrationshintergrund" ein tristes, von Gewalttätigkeit bedrohtes Leben führen.