Freitag, 28. Juni 2013

Mittwoch, 26. Juni 2013: Kleiner Grenzverkehr, Teil 2 (rechtsrheinisch)

Wir verlassen Neuf-Brisach durch das einzige bisher noch nicht in Augenschein genommene Tor, die südwestlich gelegene Porte de Bâle (= Basel). Es gibt überhaupt nur vier Tore, da sie ja aus militärischer Sicht stets eine Schwachstelle darstellen: durch die (nordöstlich gelegene) Porte de Colmar sind wir naheliegenderweise hereingekommen, in der (südöstlichen) nicht befahrbaren Porte de Belfort ist jetzt das Musée Vauban untergebracht, in dem Kinder ein Stück der Befestigungsanlagen in 3D nachpuzzlen können, - durch dieses Tor haben wir Zugang zu den Befestigungsanlagen bekommen -, und von den Gebäuden der Porte de Strasbourg (natürlich nordwestlich) ist nichts mehr übrig nach dem Krieg von 1870/71; jetzt ist da nur noch ein Mauerdurchbruch, durch den wir uns nach unserem "Grabengang" hereinzwängen: die Autos brausen da ganz schön durch.

Wir fahren zum Rhein, der hier den Eindruck eines vierarmigen Flusses erweckt, welcher aber täuscht: Zunächst geht es über den Rheinseitenkanal, dann über einen Nebenarm des Kanals, dann über die Rheininsel und dann über den Rhein (in dessen Mitte die Grenze verläuft), zum Schluss auch noch über die Möhlin. (Wer sich die komplizierte Sachlage auf der Karte ansehen will, konsultiere zum Beispiel Google Maps mit dem Suchbegriff "Usine Électrique de Vogelgrun, Vogelgrun, Frankreich".) Der Rhein selbst hat hier eine kleine Staustufe, so dass man beim Überqueren ein Schauspiel von doch gemäßigt tosenden Rheinfällen beobachten kann.

Wir fahren an Bad Krozingen vorbei und durch Staufen hindurch und erreichen bald darauf unser Ziel, das Atelier und den Garten einer Kreativen, die beides mittwochs öffentlich zugänglich macht. Ein Gesamtkunstwerk mit einem deutlichen Akzent auf Papier und Schrift und auf den Farben Blau und Weiß mit goldenen Glanzlichtern - im Garten kommt dann noch Grün hinzu. Schöne Sachen, mit denen man hefteweise Magazine irgendwo zwischen Schöner Wohnen und Landlust füllen kann. Es ist Bestandteil des Besuchsangebots, dass man einen der zahlreichen Sitzplätze im Garten in Beschlag nehmen und Kaffee trinken und Kuchen essen kann, was wir dann auch tun. Ohne Frage ein wunderbares Stückchen Zaubergarten (mit Teich und vielen verschwiegenen Ecken, aber auch einem Ausblick auf das weite hügelige Land), und ohne Frage zu schön, um ihn vor aller Augen versteckt zu halten. Insofern verstehe ich das Konzept, es mittwochs zu öffnen, finde aber andererseits, dass es eben doch ein bisschen so ist, wie wenn man im Museum wohnt. Für einen Ausflug war es aber jedenfalls empfehlenswert.

Am Abend in Colmar essen wir "ausländisch" - da in Deutschland die nordafrikanische Küche gerade ganz ganz ganz "trendy" wird (mediterran? gähn! japanisch? kenn'w'rschon! marokkanisch? au ja!) und ich zuletzt auch schon ein entsprechendes Kochbuch erstanden, aber wg. Spargelsaison noch nicht benutzt habe, möchte ich gern noch einmal probieren, wie ein Tajine so sein kann - und aufgrund der französischen Geschichte ist die maghrebinische Küche hierzulande weniger unbekannt und exotisch als in Deutschland. Wir kehren im Djerba La Douce ein; der "Jefe" ist ein Original. Laute nordafrikanische Musik dudelt durch den Raum, er singt lautstark, aber nicht unbedingt schallplattenreif mit. Wir haben schon die ärgsten Befürchtungen, dass er ganz chaotisch sei und es mit dem Essensverlauf nicht gut funktionieren würde, aber: Abbitte! Das klappt alles überraschend gut, und als es später noch richtig voll wird, hat er sich flugs noch eine Schürze umgebunden und kann offenbar in einer "Wann-Männ-Schou" alle Gäste gleichermaßen bei Laune halten. Die Tajines, die wir bestellt haben, sind extrem unterschiedlich (Hühnchen mit Oliven und eingelegten Zitronen, Lamm mit Backpflaumen und Mandeln) und beide recht schmackhaft. Zum Nachtisch gönnen wir uns "pâtisseries orientales", die ganz anders sind als Baklava, aber auch wieder ein bisschen ähnlich, jedenfalls ziemlich lecker, und krönen alles mit dem unvermeidlichen gesüßten Thé à la menthe, der aus den Metallkännchen aus großer Höhe in die kleinen Gläschen praktiziert wird, so dass es auch schäumt. Hätte schlechter kommen können!

Nachtrag: Reisen bildet - weiß ja jeder. Bloggen bildet auch! Ich habe gerade gelernt, dass das Geschlecht der Staufer, dem Friedrich Barbarossa und Friedrich II. angehören, mit dem der Herren der Burg Staufen, deren fensterdurchsetzte Wand noch heute den Weinberg über dem Ort Staufen krönt, überhaupt gar nichts zu tun hat.

Mittwoch, 26. Juni 2013: Kleiner Grenzverkehr, Teil 1 (linksrheinisch)

Am Morgen besuchen wir Neuf-Brisach, das vermutlich aus der Luft am schönsten aussieht. Die Gebäude sind alle flach, die Parkplätze sind alle leer (na gut: nicht alle, aber viele), und viel Publikumsverkehr ist auch nicht zu erkennen. Am ehesten noch Radwanderer - hier im Rheintal ist es ja auch schön flach. Wie die Gebäude eben. - Wir folgen den blauen Fußstapfen auf dem Boden und lesen brav alle Infotafeln, die das Fremdenverkehrsamt aufgestellt hat.

Das Besondere an Neu-Breisach ist, dass es nach Plänen von Vauban innerhalb von vier Jahren (1699-1703) auf der vielzitierten grünen Wiese aufgebaut wurde, was einerseits die Sicherheitsbedürfnisse des französischen Königreichs befriedigte, nachdem die Festung von Breisach an die Habsburger gefallen war, und andererseits dem vielbeschäftigten Festungsbaumeister einmal die Gelegenheit gab, ein Musterstück der damals zeitgemäßen Verteidigungstechnik zu produzieren, ohne auf widrige geologische Gegebenheiten Rücksicht nehmen zu müssen. Knapp 170 Jahre später hat das allerdings gar nichts mehr geholfen: im Krieg von 1870/71 fiel die Stadt sehr schnell nach verheerendem Granatenbeschuss in den ersten Tagen an die Deutschen.

Nichtsdestotrotz ist Neuf-Brisach zusammen mit 12 anderen ausgewählten Festungsbauten aus der weit zahlreicheren Werkeliste von Vauban auf der Weltkulturerbeliste gelandet - so richtig merkt man das vor Ort aber nicht. Wir haben die grasbewachsenen Gräben zwischen den Schanzenanlagen fast für uns allein. Auf den Wällen wachsen bunte Wildkräuter, wovon auch ein Ziegenhalter profitiert und seine Tiere dort weiden lässt. Ich habe sie spontan "Basset-Ziegen" genannt, weil sie, von den Hörnern mal abgesehen, ganz so aussehen wie die schlappohrigen Hunde. Viel weiß, ein bisschen braun, lange, runde Schlappohren. Ich sprang nur über Stöckelein und fraß kein einzig Blättelein, mäh, mäh! Laut Google-Bildersuche müssten das Burenziegen sein. - Da es meistenteils ein bisschen sonnig war, war das ein sehr netter Spaziergang. Zum Abschluss suchen wir noch den örtlichen Salon de thé auf, der auch nicht gerade wegen Überfüllung geschlossen hat, und brechen dann Richtung Grenze auf.

Mittwoch, 26. Juni 2013

Dienstag, 25. Juni 2013: Geblümtes

Ach herrje, was soll man im Elsass unternehmen, wenn man nicht bis nach Straßburg fahren will, das Unterlinden-Museum schon gesehen hat, und wenn es Dienstag ist und die Humanistenbibliothek in Schlettstadt folglich geschlossen hat (ebenso wie das Bartholdi-Museum in Colmar, aber das ist vom Rang wohl auch nicht ganz vergleichbar)? Nun, wir machen also eine Dörfertour und beginnen in Bergheim, einem befestigten Nest im Nordwesten von Colmar. (Nicht in der Kreisstadt im Rhein-Erft-Kreis.)

Das Wetter ist leider trübe, so dass die automatische Bewässerung für die auffällig großen, zahlreichen und vielfältigen Beete und Pflanzgefäße ganz entlang der Kirche nicht zu stark gefordert ist. Der Chorraum ist außen mit einem schwarzen Trauerbehang samt noch sichtbaren gekreuzten Knochen und nicht mehr sichtbaren Schädeln bemalt - eine Besonderheit von vor mehreren hundert Jahren. Gleich daneben liegen die kläglichen Reste eines Storchs - das Nest auf dem Chordach ist verwaist. - Das Fleckchen selbst ist wenig belebt, aber stark geblümt, und es gibt eine ganz Reihe von öffentlichen Gärten und Gärtchen, die jeweils mit einer blechernen Gießkanne markiert sind, auf die das jeweilige Thema gepinselt worden ist.

Am Ortsaus- oder -eingang steht noch ein Torturm, auf dem ein berühmtes Flachrelief angebracht ist, das einen Flüchtigen zeigt, der den Verfolgern den nackten Allerwertesten darbietet. Das hat, so las ich irgendwo, den Bewohnern des Ortes den Beinamen "Lakmi" eingebracht, der weniger indisch gemeint ist, als er vielleicht aussehen mag. Warum er das tut, der Flüchtige? Weil Bergheim eine Stadt war, die Verfolgten aufgrund einer königlichen (? oder jedenfalls irgendwie offiziellen) Anweisung Asyl gewährte.

Vor dem Tor steht eine alte Linde, unter der schon 1300 gefeiert worden sein soll - mittlerweile ist sie schon etwas altersschwach und wird mit Mauerwerk und massiven Stahlträgern am Zusammenbruch gehindert. Nachdem wir so "intra muros" einmal auf und ab gegangen sind, machen wir noch den Rundgang meist durch den Graben entlang der Stadtmauern, die noch zu weiten Stücken erhalten sind. Hach, ist das alles romantisch, idyllisch, bukolisch ...

Danach fahren wir nach Ribeauvillé: 5 Stunden Parken für 2 Euro Einheitstarif. Es ist schon arg touristisch, aber sie können sich trotzdem nicht durchringen, den Autoverkehr aus den engen Straßen wenigstens zeitweise zu verbannen. Das ist ein bisschen nervig, denn man muss sich oft sozusagen an die Wand drücken. Das leicht bergan gelegene "quartier pittoresque" ist nicht pittoresker als der untere Teil, aber viel öder. Bis hierher verirren sich deutlich weniger Leute - was heute vielleicht auch am recht kühlen Wetter liegen mag. Auf dem Rückweg kehren wir noch in einem Café ein (draußen sitzen geht gar nicht!). Burkhard "betrinkt" sich mit einem brie au kirsch, einem käseförmig aussehenden Törtchen mit alkoholisierter Füllung (ziemlich lecker zugegebenermaßen), während ich mit tarte aux quetsches (und nicht au quetsch - da sind bloß frische Früchte drauf) nüchtern bleibe. Dann gehen wir noch bei Metté einkaufen (Ananas und Vanille - probieren bietet sich ja leider nicht so an, aber die Vorfreude ist schon groß) - und schon ist es Zeit zum Weiterfahren. - Ach halt! Ich hab' ja ganz vergessen, von den Störchen zu schreiben! Auf einem der Dächer an einem zentral gelegenen Platz - man erkennt es schon von weitem an dem besch... weißen Halboval auf den roten Ziegeln - gibt es ein bewohntes Storchennest. Vier Jungstörche, leicht erkennbar am dunkelgrauen Schnabel, machen dort schon die ersten Flugvorübungen.

Unsere nächste Station ist Hunawihr mit der kleinen Wehrkirche, die idyllisch im Weinberg gelegen ist. Wir schauen uns die Kirche an, die in einer Kapelle noch alte Fresken aufweist, und spazieren über den Friedhof. Die Katholiken liegen innerhalb der engen Mauer um die Kirche, die Protestanten außerhalb. Bei aller gemeinsamen Nutzung des Kirchengebäudes ... durcheinander begraben kommt natürlich nicht in Frage! - In den direkt angrenzenden Weinbergen wird gearbeitet, von Hand und auch  mit diesen schmalen Spezial-Weinbau"treckerchen". Im Moment ist nicht recht zu erkennen, was genau damit gemacht wird. Es sieht aus, wie wenn damit die Rebstöcke noch ein wenig "flachgebunden" würden ...?

Das letzte Ziel für heute ist Riquewihr. Das muss noch toller sein als Ribeauvillé, denn für 2 Euro kann man hier nur 2 Stunden parken. Sie behaupten zwar, dass dafür der alte Ortskern autofrei sei, aber das stimmt auch nicht wirklich. Zwar fahren dort weniger als in Ribeauvillé, aber für meinen Geschmack immer noch zu viele. Man kann auf Aushängeschilder-Fotosafari gehen - aber viel mehr kann ich da nicht. Irgendwie bin ich aus dem Alter raus oder noch nicht wieder drin oder beides. Das ziemlich graue und kühle Wetter steigert meine Begeisterung auch nicht gerade.

Am Abend finden wir nicht auf Anhieb ein passendes Restaurant und kehren bei plötzlich rasch stärker werdendem Regen in der Bier- und Wistub Schwendi an der grand' rue ein. Die Spezialität ist Rösti, aber das ist nicht genau das, was man sich darunter vorstellt - es ist mehr eine Art Kartoffelgratin, der in superheißen gusseisernen Formen serviert wird. Nicht gerade sterneverdächtig, aber gerade recht zum Sich-Aufwärmen, während es draußen schüttet. Zum Nachtisch teilen wir uns einen Kougelhopf-Teller mit lockerem Hefe-Kougelhopf und Eis. Auch lecker. Am erwähnenswertesten ist dort aber nicht das Essen, sondern der Köbes-Charme der jungen Herren, die als Bedienung fungieren. Eine Dame steht auf und fragt nach der Toilette. Antwort: "Also, ich kann sie von hier gut sehen!" Oder, beim Abservieren eines Tellers, der bis auf die Rohkostgarnitur aus Radieschen, Gurken, Salat gründlich leergegessen ist: "Das war wohl zu fett, was?" Als wir gehen, beginnen die Straßen zum Glück schon wieder abzutrocknen.

Dienstag, 25. Juni 2013

Montag, 24. Juni 2013: Unterlinden lungern

Zwar ist Montag, aber das Musée Unterlinden hat trotzdem geöffnet. Mittlerweile täglich durchgehend von 9 bis 18 Uhr (jedenfalls zwischen Mai und Oktober)! Ja, die nervige französische Mittagspause, die es in manchen Etablissements immer noch gibt (gerne sowas wie "von 10-12 und 14:30-17 Uhr") passt nicht gut zu einem Museum, das doch mit dem Isenheimer Altar mal mindestens ein Werk von Weltrang präsentiert.

Aufgrund von heftigen Umbauarbeiten sind aber nur ausgewählte Teile zu sehen, und der Isenheimer Altar wird auch gerade zumindest untersucht ... das hat Vor- und Nachteile. Ein Nachteil ist sicher, dass schon alles aussieht wie eine Baustelle, mit einem Gerüst um den Teil mit der Kreuzigung herum (also Sebastian, Antonius, Kreuzigung und Grablegung auf der einen Seite und Verkündigung und Auferstehung auf der Rückseite), und dass einem schlabbrig gekleidete Leute mit Lupenbrille die Sicht auf manche Teile versperren. Und dass man das geschnitzte Schweinlein, das den heiligen Antonius begleitet, praktisch gar nicht sehen kann. - Ein Vorteil ist, dass man zum Teil von einer hervorragenden Ausleuchtung profitieren kann - in der Mittagspause der Wissenschaftler sehen wir, wie wenig Licht normalerweise zur Verfügung steht.

Sehr sehenswert sind auch die sonstigen Altartafeln; mir fallen diesmal besonders die 24 Tafeln des Dominikaneraltars von Martin Schongauer auf. Ich konzentriere mich auf die Darstellung der Gesichter der "Nebenrollen" - kräftige Konturen, fast karikierende Gesichtszüge, oft von bäuerlicher Derbheit, manchmal aber auch edel geschnitten oder von besonderer Zartheit, ausdrucksvolle Mimik: ein Panoptikum von Menschen wie du und ich, die plötzlich in Szenen aus dem Leben Christi hineingeraten sind. Spannend!

Die moderne Kunst ist fast komplett weggesperrt - nur Don Coucoubazar, ein dreidimensionaler Herr aus bemaltem und zusammengepuzzletem Blech, blickt von der Empore in der ehemaligen Klosterkirche auf den Isenheimer Altar herunter (oder wendet er ihm gar den Rücken zu??) und bildet so einen originellen Blickfang für alle, die ihre Augen mal von dem Altar abwenden und herumschweifen lassen. Oder eben selber auf die Empore treten.

Bemerkenswert erschien mir auch noch die umfangreiche, mich aber überhaupt nicht ansprechende Sammlung von Hinterglasbildern und vor allem eine Glasharmonika, über die man im Audiokommentar erfahren konnte, dass sie mal eine ganze Zeitlang verboten war, weil man meinte, ihre Klänge würden Tiere quälen, Fehlgeburten verursachen und andere schlimme Dinge hervorrufen. Skandalös nur, dass man gleich danach ganz ohne Warnhinweis (aber wenigstens nur auf Knopfdruck, nicht automatisch) selber mit den Klängen konfrontiert wird! Und wenn ich nun schwanger gewesen wäre??!!!

Im Kreuzgang stehen wie Fernrohre wirkende Röhren, die im wahrsten Sinne des Wortes Kaleidoskope sind: in ihnen läuft eine Videoinstallation von Robert Cahen, der sehr langsam verschiedene Werke des Museums abgefilmt hat, teilweise auch aus extremer Nähe, was einem einen neuen oder jedenfalls anderen Blick auf die Werke erlaubt. Wenn die Röhrenhöhe nur nicht ganz so unbequem wäre und die etwas rohe Kante des Rohres nur nicht so ungeschützt ...

Am frühen Nachmittag sind wir durch. Zur Kaffeezeit gibt sich Burkhard die Kugel - eine faustgroße Schokoladenkugel aus purer Mousse au Chocolat, garantiert null Kalorien und federleicht ... dagegen ist mein Erdbeertörtchen nachgerade nur ein Hauch. ;-)

Danach wissen wir nicht so recht was tun mit dem angebrochenen Tag. Wir lungern daher in Colmar herum, warten immer wieder auf ein Wolkenloch, zum Beispiel um die Maison des Têtes zu fotografieren oder das wunderbare Aushängeschild mit Schwein direkt gegenüber, wollen nicht mehr so recht die Madonna im Rosenhag besuchen (sind noch satt vom Unterlinden) ... und freuen uns, als schließlich die Essenszeit gekommen ist. Wegen der Schokoladenkugel kam die gar nicht mal so früh ... Wir gehen in die Brasserie "côté cour" und nehmen das Rinderstück für zwei, mit kleiner Ratatouille, leckeren Pilzen, Mark, Sauce béarnaise und knusprigen Pommes frites aus der Blechdose. Also das französische Nationalgericht steak frites neu interpretiert. Zum Nachtisch gibt's frische Erd- und Himbeeren mit Mascarponeeis - was soll da nicht in Ordnung sein?

Montag, 24. Juni 2013

Sonntag, 23. Juni 2013: Sonntäglicher Zeitvertreib

Nach so viel Außerirdischem benötige ich jetzt erst einmal eine Kleinigkeit zu essen. In Guebwiller ist nicht viel los ... außer im Café Helfter (mit dem "ultrahippen" Webauftritt, wie ich jetzt eben entdeckt habe) an einer Art "Marktplatz", der den unfrohen Charme von 1970er-Jahre-Stadtplanung atmet, durch offenbar neue Hochbeete mit allerlei gemischtem Gemüse gleich neben dem besagten Café aber doch noch fast gerettet wird. Der Erdbeerbecher heißt hier Coupe Romanov, was ihn auch nicht billiger macht: ich glaube, es waren unglaubliche 7,80 Euro - aber das scheint hier ja normal zu sein. :-(  Schmeckt auch nicht schlecht, der kleine Mandelbaiser als Krönung ist allerdings seeehr lecker. Und zum großen Milchkaffee gibt es ein köstliches Anisplätzchen: hhhhmmm! Scheint eine richtig gute Patisserie zu sein.

Derart gestärkt können wir uns nun an der Längsachse des Dorfes einmal auf und ab und wieder auf  bewegen. Ganz im Osten liegt die klassizistische Basilika Notre-Dame ... och nö, das ist nun wirklich nichts für uns. Klotzig und prunksüchtig. Allerdings muss ich der Dekoration bescheinigen, dass sie recht außergewöhnlich ist. Aus dem unten vergleichsweise finsteren Chorraum erhebt sich ein Bausch von Marmorwolken, deren organische Formen mit der Strenge der Architektur kontrastieren und die den Blick auf die schon halb zum Himmel gefahrene Maria lenken. Ein rundes, gelb verglastes Fenster am oberen Ende der marmornen Aufwallung, das das Dreieck mit hebräischen Schriftzeichen zeigt, welches die göttliche Dreifaltigkeit symbolisiert, sorgt dafür, dass die Finsternis unten dem göttlichen Glorienschein weicht. Beeindruckungsarchitektur?

Wir halten uns jedenfalls nicht zu lange auf. In der Mitte der besagten Dorfachse liegt eine gotische Kirche, die seinerzeit den Dominikanern gehört hat. Vermutlich bestehen noch Räumlichkeiten des zugehörigen Klosters - jedenfalls hat sich dort jetzt eine Musikschule angesiedelt; wir finden aber keinen Eingang in die Kirche. Egal - wir wollen eigentlich sowieso vor allem die romanische Kirche St Léger sehen. Rötliches Gestein, blauer Himmel, weiße Wolken - da stimmt bloß die Reihenfolge nicht, ansonsten haben wir die französischen Farben beisammen. - Das Innere der Kirche ist vor allem dunkel - eine von den Kirchen, bei denen man den Durst Abt Sugers und seiner "Mittäter" nach Licht und Luft und Gottes Atem in einer hellen gotischen Kirche verstehen kann. An Farbigkeit und Kraft mangelt es aber auch hier den Fenstern nicht - moderne Glaskünstler haben ausdrucksstarke Bildwerke mit abstrakten Formen geschaffen. Sie sind einfach bloß zu klein, um genügend Licht hereinzulassen. Ich sehe mir das Ganze lieber noch einmal von außen an und finde auch die kleinen Figuren wieder, die in den rautenförmigen Zwickeln zu Füßen des Vierungsturms sitzen und unverwandt in die Gegend schauen.

Nun haben wir schon ganz schön viel Zeit vertrieben (schreckliche Formulierung!) und beschließen, doch noch nach Murbach zu fahren. Von der dortigen einst ziemlich großen Abteikirche in einem grünen Vogesental ist nur noch das Chorhaupt übrig - den Rest hatte man Ende des 18. Jahrhunderts in Erwartung eines großen Neubaus abgerissen, der dann nie realisiert wurde. Auch früher schon waren Projekte keineswegs immer alle erfolgreich ... - Der Innenraum hat denn auch etwas Verstümmeltes; eine gotische liegende Grabfigur und ein geschnitzter Erzengel (?) sind noch die besten Stücke der Ausstattung. Schöner ist es, den kleinen deutsch beschrifteten Kreuzweg zur Loreto-Kapelle hinaufzugehen und den extra freigeschnittenen Ausblick auf die romanischen Türme im Tal zu genießen.

Dann ist es auch Zeit, nach Colmar zurückzufahren. Ein Essen im Restaurant des Hotels, ein abendlicher Stadtrundgang: fertig ist ein sommerlicher Urlaubssonntag.

Sonntag, 23. Juni 2013: Donnersteine

Heute steht schon gleich einer der (aus Sicht ausgewählter Reiseteilnehmer  ;-))) ) Höhepunkte der Reise auf dem Programm: der Besuch der internationalen Börse mit Objekten extraterrestrischen Ursprungs, so steht es jedenfalls auf dem Plakat. Es ist schon die 14. Ausgabe dieser Veranstaltung, und sie findet sinnigerweise in Ensisheim statt, wo annähernd zeitgleich mit der sogenannten Entdeckung Amerikas durch Columbus (also im Jahre 1492) am 7. November kurz vor Mittag mit großem Donnerhall ein Meteorit von etwa 130 kg niederging, welchen im Laufe der Jahre verschiedene Parteien so heftig geplündert haben, dass das verbleibende Stück im Dorfmuseum nur noch etwa 55 kg auf die Waage bringt. Man hat aber das Abklopfen so gestaltet, dass jedenfalls ich nicht gemerkt hätte, dass schon das Meiste fehlt ... (s. auch Bild in dem verlinkten Artikel).

Die Börse findet im Palais de la Régence statt, einem stattlichen Renaissancebau aus gelbem Sandstein, der mit einem teilweise offenen Erdgeschoss früher wohl auch als Markthalle dienen konnte, heute aber ein bisschen beschissen ('tschuldigung!) aussieht, weil man in den Gewölbezwickeln Schwalben nisten lässt. Der polygonale Treppenturm beherbergt eine freitragende Wendeltreppe innen ohne Geländer, die für interessante Fotos allemal gut ist, aber von den Ausstellern und Kunden meistenteils gar nicht wahrgenommen wird. Sowenig wie der Rest der Räumlichkeiten; es gibt interessante Kachelöfen, eine reichverzierte Holzdecke im Saal über dem offenen Erdgeschoss (der erfreulicherweise an drei Seiten Fenster hat) und eine großformatige Urkunde, die den Einwohnern von Ensisheim besonders vaterlandsfreundliches Verhalten in den letzten Tagen des zweiten Weltkriegs bescheinigt, samt Orden mit bronzenem Stern am Bande. Oder so ähnlich.

Die Aussteller kommen aus aller Herren Länder, mal mindestens aus Russland und diversen ehemaligen Sowjetrepubliken, aus Amerika, aus Nordwestafrika, natürlich auch aus der Schweiz, aus Österreich, Deutschland und Frankreich. Die meisten Stücke werden nach Gewicht verkauft, da kommen bei Grammpreisen von 3, 4, 5 Euro aufwärts leicht nennenswerte Beträge zusammen. "Aufwärts" ist auch sozusagen raketenmäßig gemeint: der Marsmeteorit von Tissint wird dann schon zu 600 Euro (jaja, immer noch pro Gramm) verkauft, und der Schweizer, der das tut, versucht die ganze Zeit mir zu versichern, dass das ein guter Preis ist - und versteht nicht, dass es mir das einfach nicht wert ist, und mag der Preis noch so gut sein. - Optisch attraktiv sind vor allem polierte Scheiben, an denen man Ätzfiguren bewundern kann und den Kontrast von durchscheinenden Olivinkristallen und hochglänzendem Metall. Das, was am Stück verkauft wird, sieht meist nach überhaupt gar nichts aus. Mickrige Brocken oder auch größere, schwarz oder graubraun, ph! Aktuell sind Stücke vom letzten großen Ereignis, dem Fall von Chelyabinsk am 15. Februar 2013, groß im Geschäft, klar.

Nach zwei oder drei Stunden haben wir alles incl. örtlichem Museum gesehen (sooo groß war die Börse ja nun auch wieder nicht). Das bewahrt die Reste des "Donnersteins" auf, zeigt die nicht unattraktiven Ergebnisse des Schulprojekts "Kinder entdecken den Kubismus" und ist ansonsten dem Kalibergbau gewidmet, der im Elsass in den vergangenen Jahrhunderten für einigen Reichtum gesorgt hat und erst kürzlich eingestellt wurde. Ach ja, und ein paar archäologische Funde aus recht frühen Zeiten gibt es auch noch. Eigentlich makaber, wenn "Grabbefunde" (so sagen die Archäologen wohl) ein wenig pietätlos in einer Museumsvitrine liegen ...

Apropos Aussteller: Ich weiß nicht so genau, ob die urigen Typen Aussteller sind oder Besucher ... einige der Nordafrikaner tragen wüstentaugliche Gewänder (Djellabas?), ein Europäer sieht aus wie vom Woodstock-Festival übriggeblieben (ja, solche gibt es immer noch!), und nur allzu gern hätte ich den Besitzer der umgebauten Ente mit Kasseler Kennzeichen (incl. TÜV-Plakette, kaum zu glauben!) gesehen. Die hatte nur noch den Fahrersitz und ansonsten eine ebene Fläche mit jeder Menge Kram, und sie wird offenbar gelegentlich als Wohnmobil genutzt ... vielleicht ist ja doch der besagte Alt-Achtundsechziger der Besitzer ...?! Einen Rasierspiegel hatte ich in der Ausstattung jedenfalls nicht gesehen.  ;-)

Wir flanieren noch ein bisschen durch den Ort (in dem es außer malerischen Kirschbäumen vor dem Kirchturm [bitte beides unbedingt mit westfälischer Aussprache lesen!] und dem besagten Palais nicht wirklich etwas zu sehen gibt), genießen Lavendelduft und Bienengesumm an einem nett angelegten Platz hinter dem Rathaus und fahren dann Richtung Guebwiller.

Sonntag, 23. Juni 2013

Samstag, 22. Juni 2013: Auf und davon!

Im Büro war es zuletzt doch ziemlich hektisch - wie gut, dass ich jetzt unversehens eine Woche Urlaub dazwischenschieben kann. Wo es hingehen soll, ist nicht gerade ein Traumziel, aber um eine Woche Anderes um die Nase wehen zu lassen, ist es schon gut genug: es geht nach Colmar, um von dort aus an einem Wochenende die Meteoritenbörse in Ensisheim und am zweiten die Mineralienbörse in Sainte-Marie-aux-Mines aufzusuchen.

Wir fahren recht entspannt gegen 13 Uhr los und sind nach gut 4,5 Stunden Fahrt am Ziel. Unterwegs steigen schwarze Rauchwolken auf - das sah ziemlich gefährlich aus und war es wohl auch: ein Großbrand in Ludwigshafen, mit Warndurchsage, man möge Fenster und Türen geschlossen halten und Klimaanlagen abschalten. Es war wohl Styropor, das da gebrannt hat. So hieß es jedenfalls im Radio. Sehr unangenehm - gut, dass wir auf der abgewandten Seite einfach nur vorbeizufahren brauchten.

Wir wohnen im Rapp, ganz dicht bei dem gleichnamigen Park und dem gleichnamigen Parking. Alle heißen so nach Jean Rapp, einem General unter Napoleon. Nachdem wir unsere Sachen verstaut haben, machen wir uns gleich zu einem Rundgang auf. Es ist warm und sommerlich und wir lassen uns treiben. Huch, alles so idyllisch hier mit geputztem Fachwerk und Blumenkästen ... eigentlich zu idyllisch.

Nach einem Diabolo Menthe gegen den großen Durst essen wir schließlich in einem Restaurant in "Klein-Venedig" (auch so was idyllisch geblümtes) einen echt elsässischen Flammkuchen. Zum Nachtisch nehme ich einen Erdbeerbecher - huch, sind die hier teuer! 8 Euro! Aber dafür immerhin lecker.

Samstag, 2. Februar 2013

Donnerstag, 31. Januar 2013: Sturm! Und Flut!

Für heute gab es eine Sturmwarnung. Stärke 7 bis 8 war angesagt. Gestern hatte es ja auch schon tüchtig geblasen, so dass wir schon gespannt waren auf den Strand heute. Mit Messing kann man ihn jedenfalls nicht vergleichen: es dominieren die grau-erdfarben-silbrig-metallischen Töne. Die Flut steht sehr hoch, der Strand ist zum Teil erschreckend schmal. Wir sind natürlich nach Westen gegangen, denn es ist Westwind, und wer will schon auf dem Rückweg Gegenwind in Stärke 7 haben??

Wir nehmen zur Abwechslung mal den Aufgang zum Loog. Ob der Dre-Water-Utkiek schon immer da war?? Er bekrönt die Strandtoiletten (na ja, nicht ganz, aber so ungefähr), und man kann von der Sitzbank auf der Plattform bei nur leichtem Wenden des Kopfes das Wattenmeer, den Hammersee und das offene Meer sehen. Dafür gibt es um diese Jahreszeit im Loog natürlich kein' ein', der einem auch nur einen Tee servieren würde. Café Kiebitzeck wartet auf die Kiebitze, und die Domäne Loog am Anfang = Ostende des Hammersees hat wohl auch schon wochen- oder gar monatelang keine Gäste mehr eingelassen. Die Pferde auf der Koppel beäugen uns daher argwöhnisch. Meine sagenhaften Blasen an den Fersen quälen mich wieder ein bisschen, aber ich hatte auf den Gummistiefeln bestanden, denn am Vortag hatte es wirklich keinen Spaß gemacht, dass wir gar nicht zur Flutkante kommen konnten. Mit den Gel-Blasenpflastern geht es auch eigentlich recht gut. Marschieren ist allerdings kontraproduktiv, schlendern geht besser. Da das Urlaubsziel aber "schlafen, lesen, atmen" heißt und nicht "schlafen, lesen, Kilometer fressen", ist das auch kein Problem.

Ansonsten lautet heute insgesamt das Thema "Flut". Auf dem Weg vom Loog zur Domäne Loog liegt nicht nur das ganze angespülte Zeug - kann noch nicht so lange her sein, dass das Wasser es hergebracht hat -, sondern auch eine Leiche. Ist aber nichts mit Krimi; vielmehr handelt es sich um einen toten Löffler. So kann man den speziell geformten Schnabel wenigstens in Ruhe und aus der Nähe anschauen, ohne dass das Tier sich bedroht oder gestört fühlt und die Flucht ergreifen will.

Am Strand steht das Wasser sehr hoch - ich erwähnte es schon -, so dass einige Strandgrasbüschel im Wasser stehen und als kleine Inselchen herausgucken. Ohne Gummistiefel wäre es heute wirklich nicht schön gewesen. Aber dann gibt es noch eine ganz andere Flut: eine Urlauberflut! Heute Vormittag waren schon Scharen vom Schiff nach "Juist-City" geströmt, und der Strand muss fast wegen Überfüllung geschlossen werden. Überall in Nah und Fern bewegen sich schwarze Punkte, meist in Grüppchen! Da irgendwo ein Plan mit Schulferien in ganz Deutschland aushängt, spekuliere ich auf diese seltsamen Winterferien, die es außer in Nordrhein-Westfalen in ziemlich vielen Bundesländern gibt. In Niedersachsen sind es nur zwei Tage "Zeugnisferien", wie unsere Vermieterin sagt: aber die sind eben auch gaaanz zufällig am 31. Januar und 1. Februar. Perfekt für ein verlängertes Wochenende. Die meisten scheinen ein günstiges Angebot des Hotel Atlantic genutzt zu haben. Der Hotelier bietet auf diese Weise seinen Angestellten einen Ganzjahresjob - die wenigsten sind über einen Acht-Monate-Saison-Job begeistert.

Und dann gibt es noch eine Flut der besonderen Art: eine duftende Palette voller Nougat-Halbfabrikat, in den Sorten dunkel und hell, mit und ohne Nüsse. Die steht vor Günters süßem Lädchen und wartet darauf, hereingeholt und weiterverarbeitet zu werden. Hmmmm!

Freitag, 1. Februar 2013

Mittwoch, 30. Januar 2013: Fotosafari und Messingstrand

Heute sieht es aber ziemlich trübe aus. Zum Frühstück hat es wegen allzu starken Regens schon keine Brötchen gegeben! Gegen Mittag ist es grau, aber halbwegs trocken. Wir gehen erst einmal zum Neubaugebiet im Ostdorf; noch steht die Pferde- und Fasanenwiese den Tieren zur Vefügung, aber die Bebauung mit schicken neuen Häusern ist ihr schon ganz nah gekommen. Es gab Immobilienangebote: eine 45 qm-Wohnung im historischen Kurhaus für gut eine Million Euro, Wohnungen mit knapp 90 qm für nur wenig weniger … kein Arme-Leute-Pflaster hier, und das, wo die Straßen nicht mal überall gepflastert sind!

Auf den Salzwiesen zwischen Ort und Flughafen, die man von der Pferde- und Fasanenwiese aus gut sehen kann, hält sich auch reichlich Federvieh auf. Diese besonders gefiederten Vögel müssen wohl Brandgänse sein, die man laut Bestimmungstafel später nun auch mit gar nichts anderem verwechseln kann. Ich kann das! Aber die Vögel sind nicht die Objekte der Fotosafari. Vögel fotografieren ist blöd … die sind immer weit weg, und wenn man gerade meint, dass das jetzt ein schönes Bild wäre, breiten sie ihre Flügel und "flôg(en) in anderiu lant", wie es schon im mittelhochdeutschen Falkenlied heißt. Apropos Flügel: die katholische Kirche hier (bis hier herauf erstreckt sich übrigens das Bistum Osnabrück) nennt sich "zu den Schutzengeln" und hat ein Motto an die Kirchenmauer gehängt, das dem Psalm 91 entstammt und lautet "er beschirmt dich mit seinen Flügeln". Meine Phantasie kann mit dem umgekehrten Vers mehr anfangen: er beflügelt dich mit seinen Schirmen. Bilder, Bilder!

Aber zurück zur Safari: Vielleicht hundert Meter hinter dem Wegedreieck am Ortsende beginnt oder endet der schon erwähnte Otto-Leege-Pfad, und an demselben sind auch die wesentlich dankbareren Safari-Objekte zu finden: Hagebutten aus dem vorigen Herbst, jetzt tropfengeschmückt, einige noch hoffnungsvoll rot, andere haben darauf gewartet, geerntet zu werden, und man hat sie warten lassen, bis sie schwarz geworden sind. Ob das Sprichwort auf Hagebutten zurückgeht? Auch fotogen: allerlei dornen- und stachelbewehrte Pflanzen, die sich in der Dünenlandschaft gegen Unbilden verteidigen müssen, sowie jede Menge Flechten und Moose und auch einige Pilze. Ich spekuliere, dass wir da bestimmt Wolkenohren gefunden haben, die man aus der Chinasuppe kennt. Erstens sehen diese Pilze so aus - bräunliche, etwas glasig wirkende geschwungene Kappen, die seitlich auf Holz wachsen -, und zweitens heißen die auf Chinesisch Mu-Erh, was nichts anderes bedeutet als Holzohren. Und ja, genau: da sind dem Holz Ohren gewachsen.

Am Goldfischteich liegt noch das ganze Ast- und Zweigwerk der zurückgeschnittenen Krüppelbäume - ein Urwald soll das hier nicht werden, da schaut die Landschaftspflege schon genau hin.

An der Wilhelmshöhe schaue ich nach Osten in die Dünen - Bilderbuchdünen wie in der Reklame für Jever Pilsener, allerdings - ganz wie sich das gehört - menschenleer. Irgendwie sieht das aus, als hätte die Insel hier ein fahlblondes, etwas borstiges Fell, das der Wind zaust. Am Strand ist sie aber ganz nackt, um im Bild zu bleiben, und der Wind bläst heute so scharf und heftig, dass die Insel sich keine Gänsehaut leisten kann. Der lose Sand schleift alles glatt, und das, was doch noch fest bleibt, wird mit klaren, scharfen Graten herausgearbeitet.

Dafür nähert sich schon ein großes blaues Loch. Die Wolkenkante ist ganz dramatisch: über den wenigen Gebäuden, die man vom Strand aus sehen kann, hängen noch dicke, bleigraue Wolken, über dem Meer ist grand bleu. Der Strand liegt unter Schleiern von Flugsand, denen man dabei zuschauen kann, wie sie auf einen zusausen oder von einem weg. Man kann natürlich auch quer zur Flugrichtung schauen - aber das ist gaaaar nix. Ich glaube ja, dass die Macher von Fantasyfilmen sich bei diesen Flugsandschwaden inspiriert haben: ekel-giftgrün oder finster-lila eingefärbt sind sie perfekt, um darzustellen, wie man unausweichlich vom Bösen umfangen wird und, zumindest optisch, den Boden unter den Füßen verliert.

Aber hier ist ja nichts Böses, ganz im Gegenteil: in der Spätnachmittagssonne ist der Sand genau so blond wie das Dünenfell, und die Schillfelder glitzern dazwischen durch. Als die Sonne schon fast hinter den Dünen untergeht - bis ins Meer schafft sie es um diese Jahreszeit nicht -, leuchtet der ganze Strand messingfarben, die Sonne spiegelt sich in den feuchten Flächen, und der eigene Schatten nimmt spektakuläre Längen an. Wenn er lachen würde, dann über Leute mit Stelzen.

Donnerstag, 31. Januar 2013

Dienstag, 29. Januar 2013: einmal Flughafen und zurück

Hm - trotz High-Tech-Blasenpflaster sind die Gummistiefel heute sicher nicht das Richtige. Jenseits des Flutsaums spazierengehen scheidet also heute aus, und so richtig kann man so eigentlich gar nicht zum Strand, denn es gibt jetzt eigentlich bei jedem Tidenstand Priele, die parallel zur Flutkante verlaufen und mit normalen Schuhen nicht durchquert werden können. Na gut - dann beschließen wir eben, zum Flughafen zu gehen. Da hat man wenigstens ein Ziel. Es dauert auch gar nicht mal so lange, bis wir ankommen. In der Wartehalle des "Terminals" säumen ausrangierte Flugzeugsitze (Economy) die Wände, die ansonsten durch zwei extrem großformatige Luftbilder von Juist in hoher Auflösung und kleinere Luftbilder der anderen ostfriesischen Inseln und von Helgoland ausgefüllt werden. Ich glaube übrigens, die Macher der Reihe "Zwielichtige Orte der Gegenwart" hätten das Juister Flughafengebäude explizit von ihren Bemerkungen ausgenommen - es erscheint auch fast eher wie ein übriggebliebener Ort der Vergangenheit, dafür gar nicht zwielichtig. Das Flughafenrestaurant wird erst im März wieder seine Türen öffnen; für Hungernde und Dürstende gibt es je einen Automaten, obwohl ich nicht sicher bin, ob der Kaffeeautomat wirklich in Betrieb ist … Auf der Wiese vor dem Gebäude sitzen Vögel in großer Zahl. Hm, das ist doch direkt neben den Start- und Landebahnen?! Dazu fällt mir gleich wieder so ein einschlägiger Gary-Larson-Cartoon ein, auf dem man einen Vogelreporter vor der Kulisse von rauchenden Trümmern eines Düsenflugzeugs berichten hört, dass, nach unbestätigten Berichten, es wohl Edwin Miller gewesen sei, den es in das Triebwerk gesogen hätte …

Nach gar nicht sehr langer Zeit landet einer der Nachmittagsflieger und spuckt ein Grüppchen gemischt-alter Mädels aus den östlichen Bundesländern aus, die hier ihren Urlaub antreten. Gute Gelegenheit - da nehmen wir gleich auch das Inseltaxi Nr. 2 und lassen uns diesmal ganz faul zurückkutschieren. Der Kutscher lacht sich kaputt, als wir auf die Frage "wohin?" kundtun, wir möchten ins Zentrum. Ich weiß ja nun nicht, was es da zu lachen gibt. Man könnte schließlich ins Ostdorf wollen, oder in die Siedlung, oder ins Loog, oder gar zu Domäne Bill. Aber er lässt uns dann am Kurplatz aussteigen. 10 Euro pro Person kosten die gut 20 Minuten Fahrt. Uns haben zwei freundliche karamellbraune Pferdchen gezogen, kräftig und mit blonden Mähnen und Schwänzen, und einem schwarzen Streifen in der Mitte der Mähne.

Uns plagt akute Faulheit - also gehen wir Ostfriesentee trinken (heute bei Baumann's am Kurplatz, denn dienstags hat das kleine Teehaus Ruhetag, und ja, ich kann ja auch nichts dafür, wenn die sich mit Apostroph schreiben), und danach reicht es auch nur noch für einen Mini-Rundgang in der Stadt. Mittlerweile ist ja (fast) alles weggetaut, und besonders kalt ist es nicht - aber richtig tolles Wetter haben wir ja nun auch nicht.

Dienstag, 29. Januar 2013

Montag, 28. Januar 2013: Schöne Grüße an die Füße

Na, das war ja wieder ein Wetterchen! Wir gehen bei schönem Sonnenschein los Richtung Westen. Irgendwie hatten wir neulich schon den Aufgang am Ende des Hammersees vermisst. Also nehmen wir diesmal den Dünendurchgang am Anfang des Sees. Die Durchgänge sind mit diesen seltsamen neonorangefarbenen Doppelkreuzen markiert, die ich nie richtig sehen kann: ich denke immer, die beiden Querbalken stünden senkrecht zum Mittelbalken, und sie sähen nur schräg aus, weil ich von der Seite schaue. Aber nein, sie sehen schräg aus, weil sie schräg sind! Einfach nur schauen ist gar nicht so einfach. Dauernd will einem das Gehirn etwas dazu erfinden!

Der See liegt sonnenbeglänzt da, von einer großen Gruppe Vögel behauptet Burkhard, dass sie nicht schwimmen … man weiß ja, dass der Hammersee flach und sowieso vom Verlanden bedroht ist - aber sooo flach? Ich kann's nicht glauben. - Sonnenbeglänzt ist auch eine für Kinder schon unerreichbar hohe Sitzbank, die dafür den Vorteil hat, dass man total entspannt nicht nur die Seele, sondern vor allem auch die Beine baumeln lassen kann. Ich kann mich kaum wieder losreißen, vor allem, weil mir die "Hacken" in den Gummistiefeln weh tun. Sollte ich mir dieselben sprichwörtlich abgelaufen haben? Es hilft aber nichts, erstens müssen wir ja sowieso zurück, und zweitens habe ich mir um vier Uhr einen Termin zur Fusspflege geben lassen, mit Bad und Massage - man gönnt sich ja sonst nichts, anderes Programm verpasse ich auch nicht, und es sollte den geschundenen Füßen ja gerade recht sein.

Am Ende des Sees kollern Birkhühner, aber vielleicht krähen auch bloß Fasane - oder wie heißt das bei denen? Das hilft aber nichts, denn der Durchgang zum Strand ist definitiv zu. Am See zurückgehen mag ich auch nicht. Hm. Schauen hilft manchmal, also erklimmen wir erst einmal die Aussichtsdüne. Aha! Vielleicht zwei-, dreihundert Meter weiter westlich gibt es jetzt einen alternativen Durchgang. Dann nehmen wir den. Der Strand ist hier jetzt wirklich erschreckend schmal. Aber dafür ist er genau so, wie er sein soll: heller, glatter Sand, ganz eben, schöne Brandung, Gischt, die in der winterlich tief stehenden Sonne des frühen Nachmittags weiß aufleuchtet, argwöhnische Möwen, die schon früh auffliegen, aber dann doch auch wieder schnell landen, auch ein paar von den kleinen "Wetzevögelchen", die immer eiligst an der Flutkante nach Nahrung picken.

Je weiter ich gehe, um so mehr schmerzen die Fersen … "mit letzter Fußkraft" schleppe ich mich am Kurhaus auf die Düne und nach Hause. Ah ja, zwei schöne große runde Blasen genau mittig hinten auf jeder Ferse - dann wollen wir mal sehen, ob der Fußpfleger auch Wunderheiler ist!

P.S.: Der Hammersee sei ganz zugefroren gewesen, höre ich vom Korrekturleser. Na, muss einem doch gesagt werden!!

Montag, 28. Januar 2013

Sonntag, 27. Januar 2013: Fauler Sonntag

Gemäß der Devise "Schlafen, lesen, atmen" haben wir heute zunächst einen Schwerpunkt auf die ersten beiden Tätigkeiten gelegt. Das Wetter war auch nicht gerade einladend: nicht große Flaute, sondern regennasse "Taute". Überall tropft und rieselt es, die Schneehaufen verwandeln sich in nassen Matsch, und grau ist es auch. Als wir uns nach vier Uhr doch noch ans Atmen machen, hat es endlich aufgehört zu regnen, dafür haben sich die Trottoirs in Seenplatten verwandelt. Unter Wolken schaut sogar noch eine schon deutlich ins Orangefarbene gehende Sonne hervor. Wir gehen ein bisschen auf den Deichen vor der Billstraße und am Hafen entlang spazieren. Der Wind pfeift ziemlich stark, was aber mehrere Gruppen von Gänsen nicht stört. Wie war das noch? Das ist hier deren warmes Winterquartier?

Am Hafendeich manifestieren zwei getrennte Schilder das Ende des Wattführermonopols der Familie Behring. Zu den Führungen von Heino oder Ino (ich spekuliere, dass letzterer von allen He-Ino! gerufen wird), Wattführern in zweiter/dritter Generation, trifft man sich am Schild mit den zwei Seepferdchen, wer unter Führung der Belegschaft des Nationalparkhauses die besondere Landschaft erkunden will, findet sich hundert Meter weiter am entsprechenden Schild ein. Ich muss mal wieder kommen, wenn es auch Führungen gibt - wär' ja interessant, die mal zu vergleichen. Aber Konkurrenz belebt ja allemal das Geschäft. Und Heino macht ja außerdem in Eis und FeWo. - Wir rätseln auch, wie viele Wattführer es in Deutschland überhaupt gibt. Immerhin gibt es dafür eine staatliche Prüfung!

Die Fahrrinne kann man übrigens vor lauter Eisschollen gar nicht sehen. Die grau übereinander getürmten Schollen sind zwar nicht so spitzig und dramatisch wie auf Caspar David Friedrichs Bildern, aber eindrucksvoll genug. Aber es dauert ja noch ein paar Tage, bevor uns das überhaupt kümmern muss.

Sonntag, 27. Januar 2013

Samstag, 26. Januar 2013: Die Flocken fallen

… nicht bloß wie von weit. Es ist ganz anders als Freitag, der Himmel hängt tief, und es ist wieder vergleichsweise dunkel draußen. So ist es schon viertel vor zwei, als wir vor die Tür treten. Es soll ein Spaziergang in den Dünen werden. Kaum sind wir um die erste Ecke, beginnt es zu schneien, und bis wir an dem Abzweig zum Dünenfriedhof sind, ist es schon ein rechtes Gestöber. Wir gehen ein Stück des Otto-Leege-Pfades, eines "ökologisch-künstlerischen Inselpfads", benannt nach dem Biologen, der von 1862 bis 1951 lebte und viele Jahre davon auf der Insel verbrachte. Das chinesische Bronzebecken ist noch da, aber Wasser zum Springen bringen kann man nicht - das hat sich zu einem aufgerissenen Eisbuckel zusammengefroren. Die Windharfe an der nächsten Station sorgt auch im Schneegestöber für leicht schräge Töne.

An der Wilhelmshöhe beschließen wir dann, doch an den Strand zu gehen. Der ist jetzt ganz getigert - und dass Juist einen "endlosen Strand aus wunderbar weißem Sand" hätte, ist ganz klar eine Erfindung der Werbefuzzis, denn der Sand sorgt für die dunklen Streifen im Tigerfell, und die kontrastieren recht deutlich mit den schneeweißen.

Nach zweieinhalb Stunden hört es auch schon fast wieder auf zu schneien - da hatten wir ja genau die richtige Zeit abgepasst.

Wir gönnen uns noch eine Einkehr im "Lütje Teehuus", wo es den echten Ostfriesentee vom polierten Stövchen gibt, mit Kluntje (der einzige Tee, den sogar ich mit Zucker trinke) und Wulkje. Wie sich das gehört. Gut, dass die da offenbar keine Betriebsferien machen - das wäre wirklich ein allzu herber Schlag. - Aber halt! Stimmt ja gar nicht, im Teehuus waren wir ja am blauen Tag, nicht nach dem Gestöber!

Der Gestöbertag war zugleich der mit der womöglich einzigen Abendveranstaltung unseres ganzen Urlaubs: Im Rahmen des Stipendiums "Tatort Töwerland" las Dr. Karsten Eichner (wenn ich mich recht an den Namen erinnere) im Hotel Atlantic aus seinen Werken. Von dem Stipendium können im Jahr vier bedürftige Schriftsteller je 14 Tage auf Juist logieren. Zum Arbeiten, versteht sich - Lotterleben ist nicht angesagt. Ob nun der gestrige Vorleser so bedürftig war, weiß ich nicht, aber sei's drum. Historiker, auch als Journalist für überregionale Zeitungen tätig, und jetzt Pressesprecher eines Versicherungskonzerns. Er hat schon ein Buch mit Sherlock Holmes' Wiesbadener Fällen veröffentlicht, ist er doch ein Sohn dieser Stadt, die früher mal als Weltkurstadt alles anlockte, was Rang und Namen hatte. Daraus wurde eine Geschichte zum Vortrag gebracht, in der Sherlock Holmes noch als Schüler Richard Wagner begegnete; außerdem "In the summer of sixty-nine", die Geschichte eines missratenen Anschlags auf Axel Springer. "Der Knast-Manager" spielt eher in der Gegenwart, und ganz frisch war das kriminalistische Juist-ABC entstanden. Nach gut einer Stunde war die durch ständig unterdrückten Hustenreiz angestrengte Stimme dankbar, dass es sich nun ausgelesen hatte. Die gut 20 Zuhörer, überwiegend Zuhörerinnen übrigens, spendeten freundlichen Applaus. Die männlichen Zuhörer waren entweder mitgeschleppt ;-)) oder irgendwie involviert, als Sponsor und/oder Veranstalter. Die einleitenden Worte hatte der Inselbuchhändler Thomas Koch gesprochen, von dem auch die Idee zu dem besagten Stipendium stammt. Der war von dem großen Zuspruch quasi überwältigt, wie er uns wissen ließ.

Samstag, 26. Januar 2013

Freitag, 25. Januar 2013: Großer blauer Himmel

So, heute gibt es ein selbstgemachtes Frühstück. Die Bäckereien haben zwar alle geschlossen, aber in den Supermärkten gibt es je eine Ecke mit recht akzeptablen "Bhagwan".

Nach der Dunkelheit gestern ist es strahlend hell, und wir haben den berühmten lanlan de tian, blau-blauen Himmel, wie die Chinesen sagen. Alles ist groß und weit. Wir gehen zwei Stunden am Strand nach Westen und dann zwei zurück, und außer dem Wetterchen gibt's nichts zu vermelden. Einige wenige Stücke Bernstein und viele Blumen auf dem Sand: Eisblumen. Daran kann ich mich trotz jahrelangen Juist-Fahrens auch nicht erinnern!

Ansonsten freue ich mich meiner neu erworbenen Skihose. Am Dienstag war ich nämlich noch rasch im Fachgeschäft für "Funktionsbekleidung". Na ja - die Bezeichnung passt ja grundsätzlich für jedes Bekleidungsgeschäft, denn welches Stück wäre ohne Funktion? Die Blöße bedecken, warmhalten, vor Nässe schützen, Menschen des anderen Geschlechts zwecks Paarung anlocken, dafür sorgen, dass die Hose nicht auf die Hacken rutscht - sind doch alles valide Funktionen, oder? Während ich also mit wenig Enthusiasmus die Damen-Funktionshosen anschaue (z.B. die Original-Goretex-Hose zum Preis von unwesentlichen 499,50 Euro - also ehrlich, da bekomm' ich akute Geizanfälle!), kommt eine ähnlich enthusiastische Bedienung und fragt mich, ob sie helfen kann. Ich sage also, ganz in meiner Welt gefangen, dass ich eine Hose suche, mit der ich zu dieser Jahreszeit am Strand bestehen könne, ich wisse zwar, dass dies nun eigentlich Skihosen wären, aber das wär' ja wohl egal … Sie sieht mich mit einem etwas verwirrten Blick an, der also wohl das spiegelt, was sie von mir denkt - und dann kann ich völlig ungestört rumgucken und anprobieren, denn Kundinnen, die wirres Zeug reden, werden offenbar nicht bedient. Vermutlich war das eine Verkäuferin, in deren Welt man für den Strand einen hippen Bikini braucht und einen extravaganten Strohhut. Derselbe Planet, getrennte Welten.

Freitag, 25. Januar 2013

Donnerstag, 24. Januar 2013: Es heißt Hundétüte!

Am Mittwochabend hatte ich schon Anfälle von endogener Heiterkeit bei der Lektüre des "Strandlooper", des Magazins für den gut informierten Juistbesucher. Die Chronik des Jahres 2012 verzeichnet bemerkenswerte Ereignisse wie "Die Juister Schülerin Sowieso gewinnt ein Fernglas", eine bittere zahnarztlose Periode (glücklicherweise beendet!) und diverse Streitfälle unter der Inselprominenz (sooo friedlich sind die Insulaner wohl nicht …), deren Existenz mich persönlich eigentlich weniger interessiert als die schließlich gefundene Lösung - leider geht es dem Chronisten genau andersherum.
Außer der Chronik gibt es allerhand Verhaltensregeln, damit das Chaos nicht überhandnimmt. Gästen muss man schon klare Vorgaben geben, sonst wird das nichts - immerhin hat Juist besondere Pläne, innerhalb der nächsten 20 Jahre die erste CO2-neutrale Gemeinde zu werden - oder irgendsowas in der Richtung. Insbesondere gilt es aber zunächst, die Hinterlassenschaften der - so scheint mir - eher geduldeten denn erwünschten vierbeinigen Freunde aus dem Straßen- und Wegebild zu verbannen. Einfach liegenlassen? Nein, wo denkt ihr hin?!! Dazu gibt es Hundetüten, die man an den Servicestellen und zahlreichen Hundetütenspendern kostenlos bekommen kann. Da soll man nicht den Hund hineinstecken, sondern bloß seinen Haufen.
Am Donnerstag kommen wir auf dem Weg zum Strand an einem solchen Hundetütenspender vorbei. Die Gäste sind hier aber auch offensichtlich zu dumm! Man sah sich nämlich genötigt, nachträglich eine Aufschrift anzubringen, dass benutzte Hundtüten nicht in die Dünen geworfen werden dürfen, sondern in einen Mülleimer gehören. Moment mal - benutzte WAS? Hundtüten? Eine Nummer wie bei Loriots berühmtem Scrabblespiel: Es heißt Hundétüte, Tante Mechthild, Hundétüte! Aber ich hab' nur ein E. Dann können Sie das eben nicht schreiben.

Unser Frühstück, am ersten Tag auswärts im Piratennest eingenommen, hält noch gut vor, als wir am frühen Nachmittag den Strand inspizieren gehen. Solche Eis- und Schneeformationen haben wir auch noch nicht erlebt, und es ist wirklich überraschend, wie wenig ich sie einschätzen kann. Was aussieht wie relativ weicher Matsch, entpuppt sich als hart und tragfähig, vermeintlich solide Eishaufen lassen einen wadentief einsinken. An einigen Stellen hat sich das Eis wie die kalte Variante von flüssiger Lava auf den Strand ergossen - so wie eben relativ viskose Flüssigkeiten erstarren. Die Eislandschaft sieht oft wie eine Landkarte aus, mit Schollenkontinenten und Inselgruppen. Ist das nicht Frankreich? Aber das Hexagon ist ganz losgelöst …

An anderen Stellen kann man die Schichtungen aus Schnee und Sand bewundern - ich denke, dass dieser Anblick Günter, den Juister Nougatmacher, zu seiner Schichtsüßigkeit inspiriert hat. Sein süßes Lädchen hat zwar Betriebsferien, aber man muss nicht verzagen: Vermutlich wurde er zu früheren Anlässen so oft in den Ferien herausgeklingelt, dass jetzt bei Schreib- und Rauchwaren Poppinga ein Nougat-Notdienst eingerichtet ist. Seufzer der Erleichterung! Den haben wir natürlich schon direkt in Anspruch genommen.

Insgesamt wirkt es sehr dunkel am Strand - die 10.000-Lux-Tageslichtlampe fühlt sich heller an. Aber sehenswert war es auf jeden Fall!

Donnerstag, 24. Januar 2013

Mittwoch, 23. Januar 2013: Ankommen auf Juist

Wir haben es wieder gewagt - und im Januar Urlaub auf Juist gebucht. Auf der verbindlichen Anmeldung hatte ich seinerzeit schon die Anfrage der Vermieterin nach der Anreise mit "Wenn das Wetter mitspielt, würden wir mit dem Schiff kommen" beantwortet. Während die Reederei Frisia jetzt in den Sommermonaten zwei Fahrten täglich anbietet, wenn das nur gerade mal so passt mit der Flut, gibt's im Januar da keine Auswahl. Am Mittwoch, 23. Januar, ist lt. Fahrplan um 17:30 Uhr Abfahrt.

Am Montag aber wird sogar im WDR verkündet, dass es keine Fährverbindung nach Juist gibt. O-ha. Die Webseite der Frisia spricht von extremem Niedrigwasser und starkem Ostwind. Die perfekte Kombination, um den Verkehr zum Erliegen zu bringen. Am Dienstagvormittag ruft die Vermieterin schon ganz fürsorglich an, ob sie uns auf einen Juist-Flug buchen soll (man vermietet nicht nur Ferienwohnungen, sondern betreibt auch ein Reisebüro) - aber ich hab' mir ja dieses Jahr die besonders gelassenen Bunten Bentheimer zum Vorbild genommen und entscheide mich fürs Abwarten. Die Zeit ist auf meiner Seite - Wetterlagen an der Küste ändern sich rasch, und schon ab Dienstagabend läuft der Verkehr wieder normal. Die BB-Strategie hat sich bewährt.

Wir fahren also gegen halb elf los, stundenlang nordwärts durch ein offenbar komplett eingeschneites Deutschland. Märchenworte werden eben jetzt im Brüder-Grimm-Jahr wieder geehrt und beachtet, sprach doch Frau Holle zur fleißigen Marie, dass sie nur tüchtig schütteln solle, denn die Erde brauche im Winter eine ordentliche Schneedecke, unter der sie sich ausruhen kann.

Ab etwa der Hälfte der Strecke ist der Himmel blau, die Sonne scheint, und es gibt Licht in Hülle und Fülle. Fast fehlt die Sonnenbrille! - Da die Straßenlage absolut problemlos ist, kommen wir schon gegen halb drei Uhr an. Das Sonnenlicht ist sensationell! Wir lungern auf der Molenbaustelle herum: der Bahnhof Norddeich-Mole wird ganz neu gemacht, weg mit dem charmanten 70er-Jahre-Plattenbau, her mit einem zeitgemäßen Terminal zur effizienten Abfertigung des Verkehrs von und nach Juist und Norderney. Nicht umsonst war eine der Folgen der kleinen Serie mit dem wunderbaren Titel "Zwielichtige Orte der Gegenwart", die es letztens in WDR5 zu hören gab, dem Terminal gewidmet.

Wir plaudern mit einem Spediteur, der uns die Vorzüge des Lebens hier im hohen Norden wärmstens ans Herz legt - eine seiner Spezialitäten sind Umzüge auf die Inseln. Würden ja ganz viele Leute machen, er selber sei auch aus südlicheren Gefilden hierher gezogen - und es sei doch toll hier. Aber nö, das ist nichts für mich, jedenfalls wenn man von Urlaub absieht.

Eine Stunde vor der Abfahrt öffnet der Fahrkartenschalter, und dann können wir auch sofort an Bord gehen - die Fähre liegt schon die ganze Zeit da. Bevor wir ablegen, haben wir unsere kombinierte Mittags- und Abendmahlzeit aus der Bordküche schon verzehrt. Ofenkartoffel mit Räucherlachs, Matjes und Norderneyer Seeluftschinken. Solange es kein Seehundschinken ist …

Das Meer ist wie kaltgewordene Hühnersuppe - die Weicheisschollen wirken wie festwerdende Fettaugen. Ich gehe später mal ans Oberdeck: das sieht stark aus, wie die Suchscheinwerfer zum Orten der Fahrrinnenmarkierung über diese bucklige Suppenoberfläche gleiten. Es fallen ein paar ganz magere Schneeflocken.

Die Fahrt ist mit 100 Minuten recht lang - man muss sich halt genau an die stark mäandernde Fahrrinne halten. Aber um viertel nach sieben Uhr stehen wir wieder einmal im Juister Hafen, sammeln unsere Koffer aus dem Container 29B ein (sehr übersichtlich: heute brauchten insgesamt nur drei Gepäckcontainer befördert zu werden) und eilen zu unserem Feriendomizil mitten in "Juist-City". Unsere Vermieterin nimmt uns in Empfang, dann machen wir noch einen kurzen Rundgang, um zu schauen, was geöffnet haben könnte, und schlafen dann bald den "Schlaf der Gerechten".