Heute sieht es aber ziemlich trübe aus. Zum Frühstück hat es wegen allzu starken Regens schon keine Brötchen gegeben! Gegen Mittag ist es grau, aber halbwegs trocken. Wir gehen erst einmal zum Neubaugebiet im Ostdorf; noch steht die Pferde- und Fasanenwiese den Tieren zur Vefügung, aber die Bebauung mit schicken neuen Häusern ist ihr schon ganz nah gekommen. Es gab Immobilienangebote: eine 45 qm-Wohnung im historischen Kurhaus für gut eine Million Euro, Wohnungen mit knapp 90 qm für nur wenig weniger … kein Arme-Leute-Pflaster hier, und das, wo die Straßen nicht mal überall gepflastert sind!
Auf den Salzwiesen zwischen Ort und Flughafen, die man von der Pferde- und Fasanenwiese aus gut sehen kann, hält sich auch reichlich Federvieh auf. Diese besonders gefiederten Vögel müssen wohl Brandgänse sein, die man laut Bestimmungstafel später nun auch mit gar nichts anderem verwechseln kann. Ich kann das! Aber die Vögel sind nicht die Objekte der Fotosafari. Vögel fotografieren ist blöd … die sind immer weit weg, und wenn man gerade meint, dass das jetzt ein schönes Bild wäre, breiten sie ihre Flügel und "flôg(en) in anderiu lant", wie es schon im mittelhochdeutschen Falkenlied heißt. Apropos Flügel: die katholische Kirche hier (bis hier herauf erstreckt sich übrigens das Bistum Osnabrück) nennt sich "zu den Schutzengeln" und hat ein Motto an die Kirchenmauer gehängt, das dem Psalm 91 entstammt und lautet "er beschirmt dich mit seinen Flügeln". Meine Phantasie kann mit dem umgekehrten Vers mehr anfangen: er beflügelt dich mit seinen Schirmen. Bilder, Bilder!
Aber zurück zur Safari: Vielleicht hundert Meter hinter dem Wegedreieck am Ortsende beginnt oder endet der schon erwähnte Otto-Leege-Pfad, und an demselben sind auch die wesentlich dankbareren Safari-Objekte zu finden: Hagebutten aus dem vorigen Herbst, jetzt tropfengeschmückt, einige noch hoffnungsvoll rot, andere haben darauf gewartet, geerntet zu werden, und man hat sie warten lassen, bis sie schwarz geworden sind. Ob das Sprichwort auf Hagebutten zurückgeht? Auch fotogen: allerlei dornen- und stachelbewehrte Pflanzen, die sich in der Dünenlandschaft gegen Unbilden verteidigen müssen, sowie jede Menge Flechten und Moose und auch einige Pilze. Ich spekuliere, dass wir da bestimmt Wolkenohren gefunden haben, die man aus der Chinasuppe kennt. Erstens sehen diese Pilze so aus - bräunliche, etwas glasig wirkende geschwungene Kappen, die seitlich auf Holz wachsen -, und zweitens heißen die auf Chinesisch Mu-Erh, was nichts anderes bedeutet als Holzohren. Und ja, genau: da sind dem Holz Ohren gewachsen.
Am Goldfischteich liegt noch das ganze Ast- und Zweigwerk der zurückgeschnittenen Krüppelbäume - ein Urwald soll das hier nicht werden, da schaut die Landschaftspflege schon genau hin.
An der Wilhelmshöhe schaue ich nach Osten in die Dünen - Bilderbuchdünen wie in der Reklame für Jever Pilsener, allerdings - ganz wie sich das gehört - menschenleer. Irgendwie sieht das aus, als hätte die Insel hier ein fahlblondes, etwas borstiges Fell, das der Wind zaust. Am Strand ist sie aber ganz nackt, um im Bild zu bleiben, und der Wind bläst heute so scharf und heftig, dass die Insel sich keine Gänsehaut leisten kann. Der lose Sand schleift alles glatt, und das, was doch noch fest bleibt, wird mit klaren, scharfen Graten herausgearbeitet.
Dafür nähert sich schon ein großes blaues Loch. Die Wolkenkante ist ganz dramatisch: über den wenigen Gebäuden, die man vom Strand aus sehen kann, hängen noch dicke, bleigraue Wolken, über dem Meer ist grand bleu. Der Strand liegt unter Schleiern von Flugsand, denen man dabei zuschauen kann, wie sie auf einen zusausen oder von einem weg. Man kann natürlich auch quer zur Flugrichtung schauen - aber das ist gaaaar nix. Ich glaube ja, dass die Macher von Fantasyfilmen sich bei diesen Flugsandschwaden inspiriert haben: ekel-giftgrün oder finster-lila eingefärbt sind sie perfekt, um darzustellen, wie man unausweichlich vom Bösen umfangen wird und, zumindest optisch, den Boden unter den Füßen verliert.
Aber hier ist ja nichts Böses, ganz im Gegenteil: in der Spätnachmittagssonne ist der Sand genau so blond wie das Dünenfell, und die Schillfelder glitzern dazwischen durch. Als die Sonne schon fast hinter den Dünen untergeht - bis ins Meer schafft sie es um diese Jahreszeit nicht -, leuchtet der ganze Strand messingfarben, die Sonne spiegelt sich in den feuchten Flächen, und der eigene Schatten nimmt spektakuläre Längen an. Wenn er lachen würde, dann über Leute mit Stelzen.
Freitag, 1. Februar 2013
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