Samstag, 2. Februar 2013

Donnerstag, 31. Januar 2013: Sturm! Und Flut!

Für heute gab es eine Sturmwarnung. Stärke 7 bis 8 war angesagt. Gestern hatte es ja auch schon tüchtig geblasen, so dass wir schon gespannt waren auf den Strand heute. Mit Messing kann man ihn jedenfalls nicht vergleichen: es dominieren die grau-erdfarben-silbrig-metallischen Töne. Die Flut steht sehr hoch, der Strand ist zum Teil erschreckend schmal. Wir sind natürlich nach Westen gegangen, denn es ist Westwind, und wer will schon auf dem Rückweg Gegenwind in Stärke 7 haben??

Wir nehmen zur Abwechslung mal den Aufgang zum Loog. Ob der Dre-Water-Utkiek schon immer da war?? Er bekrönt die Strandtoiletten (na ja, nicht ganz, aber so ungefähr), und man kann von der Sitzbank auf der Plattform bei nur leichtem Wenden des Kopfes das Wattenmeer, den Hammersee und das offene Meer sehen. Dafür gibt es um diese Jahreszeit im Loog natürlich kein' ein', der einem auch nur einen Tee servieren würde. Café Kiebitzeck wartet auf die Kiebitze, und die Domäne Loog am Anfang = Ostende des Hammersees hat wohl auch schon wochen- oder gar monatelang keine Gäste mehr eingelassen. Die Pferde auf der Koppel beäugen uns daher argwöhnisch. Meine sagenhaften Blasen an den Fersen quälen mich wieder ein bisschen, aber ich hatte auf den Gummistiefeln bestanden, denn am Vortag hatte es wirklich keinen Spaß gemacht, dass wir gar nicht zur Flutkante kommen konnten. Mit den Gel-Blasenpflastern geht es auch eigentlich recht gut. Marschieren ist allerdings kontraproduktiv, schlendern geht besser. Da das Urlaubsziel aber "schlafen, lesen, atmen" heißt und nicht "schlafen, lesen, Kilometer fressen", ist das auch kein Problem.

Ansonsten lautet heute insgesamt das Thema "Flut". Auf dem Weg vom Loog zur Domäne Loog liegt nicht nur das ganze angespülte Zeug - kann noch nicht so lange her sein, dass das Wasser es hergebracht hat -, sondern auch eine Leiche. Ist aber nichts mit Krimi; vielmehr handelt es sich um einen toten Löffler. So kann man den speziell geformten Schnabel wenigstens in Ruhe und aus der Nähe anschauen, ohne dass das Tier sich bedroht oder gestört fühlt und die Flucht ergreifen will.

Am Strand steht das Wasser sehr hoch - ich erwähnte es schon -, so dass einige Strandgrasbüschel im Wasser stehen und als kleine Inselchen herausgucken. Ohne Gummistiefel wäre es heute wirklich nicht schön gewesen. Aber dann gibt es noch eine ganz andere Flut: eine Urlauberflut! Heute Vormittag waren schon Scharen vom Schiff nach "Juist-City" geströmt, und der Strand muss fast wegen Überfüllung geschlossen werden. Überall in Nah und Fern bewegen sich schwarze Punkte, meist in Grüppchen! Da irgendwo ein Plan mit Schulferien in ganz Deutschland aushängt, spekuliere ich auf diese seltsamen Winterferien, die es außer in Nordrhein-Westfalen in ziemlich vielen Bundesländern gibt. In Niedersachsen sind es nur zwei Tage "Zeugnisferien", wie unsere Vermieterin sagt: aber die sind eben auch gaaanz zufällig am 31. Januar und 1. Februar. Perfekt für ein verlängertes Wochenende. Die meisten scheinen ein günstiges Angebot des Hotel Atlantic genutzt zu haben. Der Hotelier bietet auf diese Weise seinen Angestellten einen Ganzjahresjob - die wenigsten sind über einen Acht-Monate-Saison-Job begeistert.

Und dann gibt es noch eine Flut der besonderen Art: eine duftende Palette voller Nougat-Halbfabrikat, in den Sorten dunkel und hell, mit und ohne Nüsse. Die steht vor Günters süßem Lädchen und wartet darauf, hereingeholt und weiterverarbeitet zu werden. Hmmmm!

Freitag, 1. Februar 2013

Mittwoch, 30. Januar 2013: Fotosafari und Messingstrand

Heute sieht es aber ziemlich trübe aus. Zum Frühstück hat es wegen allzu starken Regens schon keine Brötchen gegeben! Gegen Mittag ist es grau, aber halbwegs trocken. Wir gehen erst einmal zum Neubaugebiet im Ostdorf; noch steht die Pferde- und Fasanenwiese den Tieren zur Vefügung, aber die Bebauung mit schicken neuen Häusern ist ihr schon ganz nah gekommen. Es gab Immobilienangebote: eine 45 qm-Wohnung im historischen Kurhaus für gut eine Million Euro, Wohnungen mit knapp 90 qm für nur wenig weniger … kein Arme-Leute-Pflaster hier, und das, wo die Straßen nicht mal überall gepflastert sind!

Auf den Salzwiesen zwischen Ort und Flughafen, die man von der Pferde- und Fasanenwiese aus gut sehen kann, hält sich auch reichlich Federvieh auf. Diese besonders gefiederten Vögel müssen wohl Brandgänse sein, die man laut Bestimmungstafel später nun auch mit gar nichts anderem verwechseln kann. Ich kann das! Aber die Vögel sind nicht die Objekte der Fotosafari. Vögel fotografieren ist blöd … die sind immer weit weg, und wenn man gerade meint, dass das jetzt ein schönes Bild wäre, breiten sie ihre Flügel und "flôg(en) in anderiu lant", wie es schon im mittelhochdeutschen Falkenlied heißt. Apropos Flügel: die katholische Kirche hier (bis hier herauf erstreckt sich übrigens das Bistum Osnabrück) nennt sich "zu den Schutzengeln" und hat ein Motto an die Kirchenmauer gehängt, das dem Psalm 91 entstammt und lautet "er beschirmt dich mit seinen Flügeln". Meine Phantasie kann mit dem umgekehrten Vers mehr anfangen: er beflügelt dich mit seinen Schirmen. Bilder, Bilder!

Aber zurück zur Safari: Vielleicht hundert Meter hinter dem Wegedreieck am Ortsende beginnt oder endet der schon erwähnte Otto-Leege-Pfad, und an demselben sind auch die wesentlich dankbareren Safari-Objekte zu finden: Hagebutten aus dem vorigen Herbst, jetzt tropfengeschmückt, einige noch hoffnungsvoll rot, andere haben darauf gewartet, geerntet zu werden, und man hat sie warten lassen, bis sie schwarz geworden sind. Ob das Sprichwort auf Hagebutten zurückgeht? Auch fotogen: allerlei dornen- und stachelbewehrte Pflanzen, die sich in der Dünenlandschaft gegen Unbilden verteidigen müssen, sowie jede Menge Flechten und Moose und auch einige Pilze. Ich spekuliere, dass wir da bestimmt Wolkenohren gefunden haben, die man aus der Chinasuppe kennt. Erstens sehen diese Pilze so aus - bräunliche, etwas glasig wirkende geschwungene Kappen, die seitlich auf Holz wachsen -, und zweitens heißen die auf Chinesisch Mu-Erh, was nichts anderes bedeutet als Holzohren. Und ja, genau: da sind dem Holz Ohren gewachsen.

Am Goldfischteich liegt noch das ganze Ast- und Zweigwerk der zurückgeschnittenen Krüppelbäume - ein Urwald soll das hier nicht werden, da schaut die Landschaftspflege schon genau hin.

An der Wilhelmshöhe schaue ich nach Osten in die Dünen - Bilderbuchdünen wie in der Reklame für Jever Pilsener, allerdings - ganz wie sich das gehört - menschenleer. Irgendwie sieht das aus, als hätte die Insel hier ein fahlblondes, etwas borstiges Fell, das der Wind zaust. Am Strand ist sie aber ganz nackt, um im Bild zu bleiben, und der Wind bläst heute so scharf und heftig, dass die Insel sich keine Gänsehaut leisten kann. Der lose Sand schleift alles glatt, und das, was doch noch fest bleibt, wird mit klaren, scharfen Graten herausgearbeitet.

Dafür nähert sich schon ein großes blaues Loch. Die Wolkenkante ist ganz dramatisch: über den wenigen Gebäuden, die man vom Strand aus sehen kann, hängen noch dicke, bleigraue Wolken, über dem Meer ist grand bleu. Der Strand liegt unter Schleiern von Flugsand, denen man dabei zuschauen kann, wie sie auf einen zusausen oder von einem weg. Man kann natürlich auch quer zur Flugrichtung schauen - aber das ist gaaaar nix. Ich glaube ja, dass die Macher von Fantasyfilmen sich bei diesen Flugsandschwaden inspiriert haben: ekel-giftgrün oder finster-lila eingefärbt sind sie perfekt, um darzustellen, wie man unausweichlich vom Bösen umfangen wird und, zumindest optisch, den Boden unter den Füßen verliert.

Aber hier ist ja nichts Böses, ganz im Gegenteil: in der Spätnachmittagssonne ist der Sand genau so blond wie das Dünenfell, und die Schillfelder glitzern dazwischen durch. Als die Sonne schon fast hinter den Dünen untergeht - bis ins Meer schafft sie es um diese Jahreszeit nicht -, leuchtet der ganze Strand messingfarben, die Sonne spiegelt sich in den feuchten Flächen, und der eigene Schatten nimmt spektakuläre Längen an. Wenn er lachen würde, dann über Leute mit Stelzen.