Nachtrag zu den unentschlossenen Straßennamen: schon der Platz vor dem Hotel heißt Campo Marinoni o de la Fenice, und dann habe ich noch den Campielo Giovanni Andrea della Croce o de la Malvasia anzubieten (sic - alles nicht ganz konsistent, scheint mir; eigentlich wäre der campiello mit Doppel-l zu schreiben, es sei denn, es wäre der venezianische Dialekt, aber dann wär' auch der Hannes eher mit nur einem n … hm). Sehr einprägsam - für Briefe dorthin bitte nur DIN C6 lang verwenden. ;-)
Heute sieht es am Morgen immer noch etwas grau aus, weshalb wir beschließen, eine Museumstour zu machen. Auch, um der Todsünde des Geizes zu frönen: der Eintritt in den Dogenpalast kostet pro Person 14 € (schluck!). Auf die Lohsesche Frage "wird das billiger, wenn ich gleich mehrere nehme?", lautet die Antwort der städtischen Museen ja - für 11 Etablissements kostet es dann 18 €. (Als Gruppe gehen wir beide hier leider nie durch; das war in China angenehmer, wo wir immer unsere Kleingruppenreisen gemacht haben.)
Wir steuern als erstes die Ca' Pesaro an, nicht ohne unterwegs noch einen Abstecher zum "Entzückendsten, was die venezianische Architektur zu bieten hat" (zitierter Reiseführerenthusiasmus) zu machen. Ein bisschen abseits vom Campo Manin liegt ein kleiner Hof, dessen Anwohner bestimmt von den glotzenden Pilgerscharen (kein gutes Gefühl, wenn ich das so schreibe - was würde mich qualifizieren, nicht dazu gezählt zu werden?) furchtbar genervt sind. Alle starren auf eine fünfstöckige Häuserwand. Die fünf Stockwerke haben zu diesem Hof hin alle eine offene Loggia, und links daneben verbindet eine ebenso offene Wendeltreppe mit Rundbogenarkaden die Stockwerke miteinander: il bovolo, das Schneckenhaus - dabei läuft die Treppe gar nicht in eine Spitze aus. Allerdings werden die oberen Stockwerke deutlich niedriger als die darunter liegenden. Ja, es sieht nett aus, um nicht zu sagen: Entzückend! -
In der Ca' Pesaro gibt es moderne Kunst so etwa von Beginn des 20. Jahrhunderts an zu sehen. Ein schöner Palazzo mit Prachtfront zum Canal Grande, in dessen Prachtsaal die Hits vergangener Biennalen präsentiert werden - schließlich ist die alle zwei Jahre stattfindende Ausstellung zeitgenössischer keine neue Erfindung, sondern eine altehrwürdige Einrichtung seit 1895. Hier hängt allerlei mit Rang und Namen, Klimt, Chagall, Kandinsky, Liebermann, Miró, wer könnte sich alle merken …
Außerdem gab es eine Ausstellung von einem gewissen Pier Paolo C. (Wer könnte sich den Namen merken?) mit befremdlichen Installationen. "Die Badewanne (Dialog zwischen Wasser und Ei)", oder die überlaufende Teekanne, oder die drei Geräusche produzierenden Kassettenrecorder mit weißen Federn zwischen zwei moosverkleideten Brettern (mein Vorschlag für den Titel: Häuptling Schneeadler lässt ausrichten, dass der Sommer etwas zu trocken ist), oder das Werk "Paravent", bei dem hinter dem namengebenden windschützenden Wandschirm eine Arecapalme von einem motorisierten "Apparatismus" alle zig Sekunden angezupft wird und sich dann bewegt, wie wenn ein Windhauch durch die Blätter ginge. Oder dieses Werk mit dem weißgoldenen Goldfisch (Pfannenformat, also eine ernstzunehmende Größe), der in einem vergleichsweise engen Becken vor einem vergleichsweise trostlosen Objekt in Form von zwei leicht angerottet aussehenden metallbeschlagenen Brettern ziemlich still herumsteht, mal ein paar Zentimeter vor oder zurück oder herauf oder hinunter schwebt (schwimmen kann man das nicht nennen) und eigentlich nur sein Karpfenmaul auf- und zuklappt. Irgendwie trostlos. Und nirgendwo ein Schild, das einem versichern würde "no animal was harmed …". Dabei ist dieses Werk auf 1978-80 datiert - so alt ist der Fisch bestimmt nicht! Eine besondere Spezialität von diesem Peterpaul sind gekühlte Werke mit Reifrand. Politisch-ökologisch heutzutage völlig inkorrekt, und dann noch in den vergleichsweise warmen, da unklimatisierten Museumsräumlichkeiten im zweiten Stock!
Auf der anderen Seite der zweiten Etage befindet sich das Museum für ostasiatische Kunst. Es beginnt mit einer riesigen Sammlung von Waffen und Rüstungen - die europäische Ausgabe davon habe ich gestern im Dogenpalast schon links liegen lassen, und die heute will ich auch nicht sehen. Die Sammlung von Lackwaren war recht gut, der Rest solala, oder in diesem Fall erst recht mamahuhu. Vor allem aber war die Kalligraphie völlig unterrepräsentiert, was ihrer Rolle in der asiatischen Kunst absolut nicht gerecht wird. -
Ganz vergessen habe ich ja, dass wir vorher noch in der Kirche San Giovanni Elemosinario waren: der heilige almosengebende Johannes. Von dem habe ich vorher noch nie gehört, aber Tizian selbst hat ihn für das Altarbild porträtiert. Gleich hinter dem Eingang war noch eins der überall mehr oder weniger gleichmäßig in den Kirchenböden verteilten Gräber geöffnet und beleuchtet; es ist aber leer und nur deshalb offen (mit einer Glasscheibe bedeckt), weil an den Seitenwänden bei genauem Hinsehen noch Fragmente alter Fresken zu erkennen sind. - Hier kostet es auch Eintritt via Chorus Pass, und ich will die Gelegenheit nutzen, einmal lobend die Dokumentationsblätter zu erwähnen. Für jede Kirche gibt es ein doppelseitig bedrucktes und laminiertes DIN A4-Blatt, vorn eine Kurzbeschreibung der Kirche, hinten ein Grundrissplan mit allen Kunstwerken. Und zwar in mehreren Sprachen, hier auch in Deutsch, während die meisten Museen sich auf Italienisch, Englisch und Französisch beschränken. Und das, wo gefühlt hier ein Drittel deutschsprachige und ein Drittel französischsprachige Gäste sind; das letzte Drittel teilen sich die restlichen Nationalitäten. Italiener kommen auch nach genauerer Beobachtung der Sachlage (zumindest tagsüber) fast immer nur als Einzelpersonen vor, telefonieren dafür aber auch fast immer mit Nachdruck und Mobtel am Ohr. Aber das war nur ein Exkurs; ich war ja gerade dabei, die guten Dokumentationsblätter zu loben, die schon mehrfach durch ihr ziemlich tadelloses Deutsch auffielen. Die haben wirklich jemanden gefragt, der sich damit auskennt, und sich nicht auf irgendjemandes halbgare Fremdsprachenkenntnisse verlassen, wie es sonst so oft üblich ist. Umso mehr fiel heute der zwar grammatikalisch völlig korrekte, aber unfreiwillig komische Hinweis auf "das herrliche Martyrium der heiligen Katharina von Alexandria" auf - aber noch wieder andererseits sah es im Vergleich zu den Laurentius-Grillszenen oder den Sebastian-Pfeilorgien auch gar nicht sooo unangenehm aus: Die Märtyrerin kniet in einem sehr edlen Gewande auf einem Platz, wird von einem Engel aus dem Himmel bereits mit heiligen Oblaten von einem schönen Tellerchen gestärkt, während ein nur wenig gewalttätig aussehender Mann sie von hinten festhält und einen Dolch bei sich führt, mit dem er sie dann vermutlich gleich töten wird. ["Wie denn?" - "Stich sie ins Herz, oder schlag ihr den Kopf ab!"] Als Martyrium wirklich eher harmlos - aber "herrlich"?!
Nach dem vormittäglichen Kunstrausch ist nun eigentlich Mittagszeit, aber es ist kein brauchbares Café greifbar. Statt dessen kommen wir noch einmal bei den Eiermosaiken vor St Stae vorbei und dann am Palazzo Mocenigo. Der beherbergt das Museum und Studienzentrum für Textil- und Modegeschichte, soll aber auch einen guten Eindruck vermitteln, wie reiche, adlige Venezianer im 17. und 18. Jahrhundert gewohnt haben. Wir gehen vor allem deshalb hinein (und weil der Eintritt quasi bereits bezahlt ist) und nicht wegen der Ausstellung mit Kleidern der russischen und anderer Emigrantinnen aus der Zeit von Diaghilev, also vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Die zahlreichen Räume dieses gotischen Palasts sind schon sehr prachtvoll, aber auch dunkel und bestimmt in der kalten Jahreszeit ganz schön ungemütlich gewesen.
Dann ist doch noch Gelegenheit zu einem nicht der Rede werten Mittagsimbiss, bevor wir unser nächstes Ziel ansteuern: das Naturkundemuseum im Fondaco dei Turchi. Ein echter Geheimtipp! Unbedingt hingehen!
Danach warten wir vergeblich auf einen Fährmann. Hol über!! Aber kein Mensch versieht offenbar um diese Tageszeit den Fährdienst an der Traghetto-Station San Marcuola. :-((( Da bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als bis zum Bahnhof zu gehen und da den Canal Grande auf der Brücke zu überqueren. Wir müssen dann natürlich erst wieder ein Stück auf der breiten Touristeneinfallschneise gehen, bevor wir zu einem weiteren Weg durch das Sechstel Cannaregio abbiegen können. Wir steuern zunächst den Campo dei mori an, den Mohrenplatz. Der heißt so, weil an den Hauswänden steinerne Mohrenfiguren Wache halten. Wie man weiß, dass es sich um Mohren handelt, wo sie doch aus ganz weißem Stein gemacht sind? Ganz einfach, sie tragen riesige "Vogelnester" auf dem Kopf, die ihre typischen großen Turbane darstellen sollen. Neben einem zwar ziemlich schiefen, aber ansonsten besonders schönen Exemplar befindet sich das alte Haus von Tintoretto. Außer den Mohren gibt es hier noch eine Figur, die einem gleich auffällt, wenn man über die Mohrenbrücke den Platz erreicht, nämlich durch die dunkle und ziemlich eckige Eisennase im hellen Steingesicht. Leider ist die zugehörige Geschichte (jedenfalls mir) nicht überliefert.
Ziemlich genau um sechs Uhr erreichen wir die Kirche Madonna dell'Orto, die eigentlich dem heiligen Christophorus geweiht ist. Diese Kirche mit der auffälligen Fassade hat nun leider schon seit einer Stunde zu - schade. Und auch die Fassade liegt nun schon Schatten: rote Ziegel und lebhafte Akzente mit weißen Steinfiguren. - Wir spazieren also notgedrungen weiter durch die nicht sehr belebten, aber keinesfalls ausgestorben wirkenden Gassen und Uferstraßen. Plötzlich ein Hafenbecken voller bunter Boote, dahinter die tiefblaue Lagune und linker Hand die Häuser von Murano, rechter Hand die Ziegelmauer und grünen Zypressenspitzen der Friedhofsinsel San Michele mit ihrer Kirche, die man von hier gut sehen kann. Die Fassade leuchtet weiß herüber.
Die ganze Gegend wirkt irgendwie entspannt, vielleicht wie wenn die Last des Tages jetzt im Licht der tiefstehenden Sonne einem entspannten Feierabend weicht? Wir suchen und finden jedenfalls die Osteria "Ai Promessi Sposi" und essen halbwegs preiswert, auf jeden Fall aber recht gut zu Abend. Und nun, wo sich das Ende unseres Venedigaufenthaltes nähert, wissen wir auch endlich, wie man von hier ohne großen Umweg zurückfindet zu unserem Hotel.
P.S. MuVe sind die Musei civici Veneziani.
Dienstag, 20. September 2011
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