Ans Frühstück haben wir uns schon fast gewöhnt - und der Cappuccino aus der Maschine schmeckt wirklich gut, der entschädigt sogar für die Croissants, die entweder klebrig lackiert sind und dann mit zäher Marmelade gefüllt oder puderzuckerbeschneit und dann mit dicker Creme vollgespritzt.
Heute geht es zielstrebig zur Accademia-Brücke. 52 Stufen hinauf, 53 hinunter - die venezianischen Brückenbauer sind sehr menschenfreundlich und gestalten ihre Brücken mit den ganz flachen Stufen, die man ganz lässig überschlendern kann, ohne sich anstrengen zu müssen. Schon ist man an der Galleria dell'Accademia, eins der wichtigsten "Schinkenmuseen" in Venedig. Mit Kontrollen, Regeln und Aufsicht scheint man es sehr locker zu nehmen - aber ich hoffe angesichts der Bilder, dass das nur so aussieht. Es ist jedenfalls angenehm. Die Räumlichkeiten machen dafür zum Teil einen ziemlich abgewrackten Eindruck, und mehrere sind auch wegen Restaurierungsarbeiten geschlossen. Ich entdecke, dass der bereits erwähnte Vittore Carpaccio keineswegs ein Zeitgenosse von Harry war, dem Gründer und Namensgeber seiner Bar, sondern um ca. 1460 geboren wurde. Wie kam der Koch bloß auf die Idee, sein hauchdünn aufgeschnittenes Rindfleisch nach dem zu benennen?? Wahrscheinlich wegen der Assoziation mit den alten Schinken … von Herrn Carpaccio sind besonders diverse Ursulinenschinken überliefert, darunter die Ankunft in Köln, das damals auf den Stadtfahnen wohl noch nur die drei Kronen zeigte - die 11(tausend) Tränen waren ja erst noch in Arbeit. Gemetzel s. nächstes Bild. Ziemlich blutberauscht werden da die zahlreichen züchtigen jungen Damen massakriert. Aber Ende gut, alles gut: das dritte großformatige Gemälde zeigt die Apotheose der heiligen Ursula und ihrer Gefährtinnen. Liegt das jetzt nur an meiner Darstellung, oder war das ein bisschen zynisch?!
Eigentlich habe ich mich aber heute auf die Bellinis konzentriert. Und nicht auf die klassischen Cocktails, die bei Harry erfunden und so getauft wurden, sondern auf die Gemälde von Johannes Bellinus, der auch noch mit Johannes signiert hat und nicht als Giovani. So liebliche Madonnen, so verträumte Blicke! Und dann das berühmte Gewitterbild mit der stillenden Mutter im Grünen und dem Blitz am dräuenden Himmel, von dem ich ziemlich sicher bin, dass ich es vor 19 Jahren in einer Ausstellung in der Ca d'Oro gesehen habe. Jedenfalls anderswo.
Danach machen wir uns auf den Weg durchs Viertele, von einer Kirche zur nächsten, von einem campo zum campiello. An der Universität in der Ca Foscari findet irgendein Symposium statt, man hört internationales Geplauder beim Mittagsimbiss. Die venezianischen Kirchen erscheinen mir noch zahlreicher als z.B. die Kölner - wozu "zum Teufel" braucht man so viele? Es gibt zwei Klassen: die, die man umsonst betreten kann, und die, in denen es Eintritt kostet. Dann immer gleich drei Euro pro Person, und bloß, weil dann da irgendwelche dunklen Bilder in dunklen Ecken hängen oder von schräg einfallendem Licht in matt reflektierende Flächen verwandelt werden. Och nö. Was die Atmosphäre betrifft, machen die meisten venezianischen Kirchen sowieso nicht viel her. Lobend zu erwähnen hier vielleicht die etwas abseits gelegene Kirche San Nicolò dei Mendicoli. Zwar alles sehr überladen und mit mehr oder weniger finsteren Gemälden im Großformat, aber irgendwie einheitlich und ganz wirkend, nicht wie ein Zoo von Versatzstücken, der bei Verfügbarkeit von Budget um das nächste Werk ergänzt wurde.
Zur Mittagszeit sind wir auf dem Campo Santa Margherita, wo wir im Ristorante "ai sportivi" speisen - es erschien mir aber auch nicht sportlicher als anderswo. Vielleicht hätte ich intensiver versuchen sollen, die völlig schmerzfreien Tauben, die einem da zwischen den Füßen herumwuseln, mit etwas Zitronensaft zu beträufeln: das wäre bestimmt für alle Beteiligten sportlicher gewesen. Burkhard bestellt aus nostalgischen Gründen frittura mista, aber die dauert erstens ewig und ist zweitens auch nicht mehr das, was sie mal war. keine kleinen Fischchen, die sich als Pommes frites verkleidet haben - jetzt gibt es Tintenfischringe und Garnelen. Ach nee, Tante Mechthild!
Während wir da so sitzen und essen, sehe ich Heerscharen von Leuten mit Eis vorbeigehen. Aha! Da hinten scheinen die Leute für hausgemachtes Eis anzustehen. Da gehen wir dann auch hin und holen uns noch einen Nachtisch. Mascarpone-Eis mit Feigen, Fior di latte ("Milchblume") und Dogen-Creme mit (glaube ich) kandierten Kumquat-Stückchen schmecken gut, haben mich aber total umgehauen. Vorher war ich noch gar nicht soooo satt. Aber jetzt, wo ich dies schreibe, ist es fast neun Uhr und wir haben beschlossen, dass wir heute kein Abendessen mehr benötigen.
In der Sonne ist es jedenfalls tagsüber ganz schön heiß, wir sind immer froh, wenn wir durch enge Gassen oder auf dem schattigen Ufer gehen können. Aber um etwa vier Uhr erreichen wir die Zattere, den alten Uferweg im Süden des Dorsoduro am Canal der la Giudecca, der vermutlich vor noch nicht allzu langer Zeit in die halbwegs mondäne Uferpromenade verwandelt wurde, die sie jetzt ist. Es ist allerdings nicht sehr voll, was wohl auch an den Temperaturen liegen mag. Als wir das "Spitzensegment" der Halbinsel erreichen, liegen dort die alten Bootshäuser, die sich auch hervorragend für Kunstausstellungen eignen. Eine der wohl besonders hochkarätigen Ausstellungen im Rahmen der Biennale (auf Englisch: collateral events) findet sich gleich in einem der ersten "Schuppen": Anselm Kiefers 'Salz der Erde'. Eintrittskarten muss man aber ein paar zig Meter weiter hinten kaufen. Gleich daneben liegt der gemeinsame Pavillon von Katalonien und den Balearen, den man umsonst besichtigen kann und deren "Bewacher" wohl schon leicht genervt sind, weshalb sie mit dickem, schwarzem Filzstift in Großbuchstaben einen Zettel beschriftet haben: THIS IS (unterstrichen) NOT THE EXHIBITION OF ANSELM KIEFER (next door on the left) AND (unterstrichen) NOT THE TICKET OFFICE (100 mt on the right). This is the Pavillion of CATALUNYA & BALEARIC ISLANDS. FREE ENTRY. Thank you.
Diese Videoinstallation ist sogar ganz nett; es geht (glaube ich) darum, dass so unendlich viel gleichzeitig passiert, dass es Bilder gibt und Geschichten. Letztere kann man erzählen, erstere nicht. Nebenan stellen diverse arabische Künstler unter dem Thema The Future of the Promise aus (die Zukunft des Versprechens), was ja nun, da das Versprechen der Zukunft vielleicht weniger eingelöst scheint denn je, die zweckmäßigere Fragestellung sei.
Während wir noch zur Halbinselspitze weitergehen, fährt eins von diesen Kreuzfahrtschiffen vorbei. Alle Passagiere stehen an Deck Spalier … ach nein, ich glaube, das ist nichts für mich. Die Inselspitze "ziert" ein ziemlich unzwingender nackter weißer Plastikjüngling, der mit spitzen Fingern einen Frosch am Hinterbein hält. Herren in Uniform (allerdings von einem privaten Sicherheitsdienst) verbreiten Sicherheit und Zigarettenqualm.
Als wir schließlich bei Santa Maria della Salute ankommen, die bei mir nur Santa Maria delle Volute heißt (Voluten: spiralförmige Ornamente, von denen es hier reichlich gibt), ist sie schon geschlossen. Da bleibt uns nur noch, weiter durch Straßen und Gassen zu streifen und noch in zwei Etablissements einzukehren, um diverse Getränke zu uns zu nehmen. Schon klasse, wenn man - und sogar ich, die ich schon mal leicht verfroren bin - bis zehn Uhr abends gemütlich draußen sitzen kann!
Mittwoch, 14. September 2011
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