Dienstag, 13. September 2011

Dienstag, 13. September 2011: vita brevis ars longa: der Biennale erster Teil

Oder wie sprach noch der Lateiner? Dies wäre ja "kurz ist das Leben, lang ist die Kunst" - für uns heute länger als sechs Stunden. Die erste Tat nach dem Frühstück war heute aber, im sicher berühmtesten Opernhaus der Welt (oder etwa nicht??!!), dem venezianischen Phönix - La Fenice -, nach Eintrittskarten für eine beliebige Vorstellung zu fragen. Klasse! Jetzt haben wir zwei schöne Platzkarten im Parkett. Am 21. September gibt es Don Giovanni. Nu' hab' ich ja von Opern keine Ahnung, aber ist das nicht der Inbegriff des Mozart-Oper? - Ich hatte ja schon befürchtet, dass die Kartenvergabe so ähnlich funktioniert wie bei den Salzburger Festspielen: 10 Jahre vorher buchen, dann kann man auch viel besser drumherum planen. Die Dame an der Opernkasse hat mich übrigens wie selbstverständlich auf Französisch bedient, was, als ich das einmal bemerkt hatte, ja zwar kein Problem war, aber trotzdem lustig.

Gleich gegenüber beginnt die Biennale. Sozusagen. Eine Kirche dient als überaus passender ukrainischer "Pavillon" für ein überdimensioniertes byzantinisches Mosaik aus Abertausenden von - wer würde das je erraten, wenn er's nicht gesehen hat? - kunstvoll bemalten Ostereiern. 120 in einer Reihe, ungezählte Reihen. Zum Glück sind es Holzeier, sonst wäre es wohl allzu fragil. Es zeigt ein nachdenkliches Gesicht (Christus?), darunter ein Medaillon und darunter (schon in der Horizontalen) ein Gotteslamm. Das Mosaik füllt quasi den ganzen Kirchenraum aus; man tritt auf einer schwarzen Rampe vor das Bild. Eine Klanginstallation mit geheimnisvollem Geflüster und fallenden Wassertropfen komplettiert das Gesamtkunstwerk. Wir erkennen jetzt auch das Mosaik wieder, das uns am ersten Abend vom Canal Grande aus schon aufgefallen war. Da hatten wir uns noch gefragt, aus was es wohl bestünde …

Dann schlängeln wir uns wieder durch das venezianische Gassenlabyrinth. Um diese Uhrzeit muss man aufpassen, dass die starken jungen Männer mit den Speziallastkarren einen nicht umfahren (Betonung auf 'um'). An einer Gassenmündung riefen plötzlich drei so etwas wie Vorsicht!, was aber nichts anderes heißt als Platz da! Ich wusste schon gar nicht, wohin noch ausweichen.

Gut, dass die Sonne es meist nicht bis auf den Grund der Straßenschluchten schafft - wenn doch, wird es gleich furchtbar heiß. Unterwegs kommen wir an einem Palazzo vorbei, das anno siebzehnhunderteinundsiebzig den eben schon genannten Salzburger Künstler beherbergt hat. Als wir in die Nähe des Arsenals kommen (eine der beiden Haupt"austragungsorte" der Biennale), nimmt die Pracht der Häuser ab, der Abglanz früherer Genies fehlt ganz, und auch die Touristendichte sinkt merklich. Dafür hängt mehr Wäsche auf den Leinen, die die Gassen überspannen, und es wirkt irgendwie intimer. Hier muss man sich aber auch auskennen: anders als gestern mussten wir ein paar Mal auch wirklich umkehren, da der Weg unversehens an einem río endet, so heißen die kleinen Wasserwege.

Schließlich finden wir aber die Einfahrt zum Arsenal mit den Türmen und der üppigen Löwenskulptur, und unweit davon auch einen Eingang zum Arsenal-Gelände des alle zwei Jahre stattfindenden Kunst-Karnevals. Vorher besuchen wir noch eine Video-Installation von Yi Zhou. Mamahuhu, würde ich sagen: Pferd Pferd Tiger Tiger. -

Die Ausstellung steht dieses Jahr unter dem Motto Illuminazione, Nazione kursiv geschrieben, was auch auf Englisch funktioniert und sogar auf Deutsch, jedenfalls wenn man es bei dem Fremdwort belässt. Der Eintrittspreis erscheint mir mit 20 Euro noch halbwegs zivil - dafür kann man einen Tag im Arsenal verbringen und einen anderen - nicht einmal den nächsten - in den Giardini, den Gärten. Das sind wohl hier die Gärten an sich, die keiner weiteren näheren Bestimmung bedürfen.

Die großen Hallen des Arsenals sind gerade recht als Rahmen für moderne Kunst. Teils rohe Ziegelwände, massive Ziegelsäulen, hohe Decken, die den Blick in die filigran wirkende Dachkonstruktion freigeben. Lang und breit. Die ersten Räume in einer langen Flucht sind fensterlos. (Alte Lagerräume? Für was wohl? Munition, Getreide?) Wie bei solchen Anlässen üblich gibt es jede Menge interessanter Ideen, die in meiner persönlichen Bewertung von inspirierend über ansprechend bis abstrus oder auch einfach nur "erschließt sich mir nicht" reichen.

Videoinstallationen werden gemeinhin überschätzt - besonders dann, wenn der Künstler oder die Künstlerin darin über mehr als eine Minute Konzepte ausführt. Mein eigenes Sehverhalten und das der anderen Besucher legt nahe, dass diese Konzepte im Leben nicht ankommen. Interessant war allerdings der Aufzug vom Subkontinent - eine Aufzugskabine mit vertikal abgespielten Filmen auf allen drei Seiten (Tür auf der vierten), die in Nullkommanix den Eindruck vermittelt, dass man wirklich Etage um Stockwerk nach oben saust und jedesmal gleich in ein anderes Interieur blickt. Eine indische Idee.

Der italienische Pavillon erscheint bunt und wild, das Mafia-Museum aus ??? ist auch vertreten, richtet sich aber vor allem an die italienischen Besucher, denn hier ist fast nichts zweisprachig. Die 10 Faktenkabinen, in denen man zulassen kann, dass einem unangenehme Wahrheiten auf die Pelle rücken, gleichen Saunakabinen - dass man schweissgebadet herauskommt, ist in erster Linie wohl doch den Temperaturen geschuldet und nicht den Fakten.

Den alten Meister (war's nun ein Tiepolo oder ein Tintoretto?), den man stolz als Zentrum der Ausstellung angekündigt hatte, gab es jetzt nicht mehr; wenn mein Italienisch ausreicht, hat das Verhalten des Publikums es unmöglich gemacht, das Werk weiter hängen zu lassen. Ts, ts, ts!

Keinesfalls unerwähnt lassen darf man auch den Gesamteindruck des Ortes. Wir sitzen später eine ganze Weile am Ufer und beobachten den regen Verkehr auf der Lagune. Ganz am Ende bemerke ich noch den chinesischen Pavillon, in dem ich auf das Werk stoße, das sofort mein persönliches Glanzlicht wird: eine Videoinstallation (nun doch), in der auf die zwei mit Tuschebildern von reifen Lotusblüten bemalten Wände eines von Mondtoren begrenzten Wandelgangs der Schnee von Buchstaben aus englischsprachigen (wohl kunsttheoretischen)Texten fällt. Klingt etwas kompliziert, ist aber eigentlich sehr einfach.

Dann haben wir genug gesehen und machen uns auf den Rückweg. Ich habe neue Schuhe, und die Füße tun mir darin ganz schön weh. :-(

Unterwegs machen wir in der Pizzeria da Roberto halt und dann noch einmal auf den steinernen Bänken im Wandelgang des Dogenpalastes. Irgendwie muss ich es hinbekommen, tagsüber schon ein bisschen mehr zwischendurch zu schreiben …

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