Donnerstag, 22. September 2011

Donnerstag, 22. September 2011: Der Biennale zweiter Teil

Heute verzichten wir auf das Gassenlabyrinth und gehen wieder - jedenfalls von der Piazzetta aus - an der Bauchseite des venezianischen Fisches Richtung Schwanz. Am Ufer liegt zunächst ein großes Segelschiff mit drei Masten, und dann kommt auch noch der Seven Seas Mariner hereingedampft, eins von diesen schwimmenden Hochhäusern, die hier irgendwie deplaziert wirken (oder schreibt man das seit der Rechtschreibreform auch mit tz? Müsste ja wohl …) Dabei hatten sich heute schon gruppenweise die Passagiere der Holland America Lines über den Markusplatz und die dahinter liegenden Gassen ergossen.

Bald erreichen wir die Gärten, die Giardini, in denen die Biennale so etabliert ist, dass es allerhand steinerne Pavillons gibt, die so langsam alle ein dreistelliges Alter erreichen. Damit es nicht alles zu müde und eingefahren wird, gibt es Scharen von Blutsaugern, die auch hier dafür sorgen, dass die Damen mit den nackten Beinen (Strümpfe helfen natürlich auch nicht) allerhand modische Verrenkungen ausführen). Meine Stiche von letzter Woche haben so eine Auffrischung erfahren, damit ich ein paar Venedig-Souvenirs mit nach Hause bringen kann. Sachdochmawas. Toll.

Gleich der erste Pavillon, der der Schweiz, war schon ein Höhepunkt. Mit Unmengen von Alufolie, Klebeband, Wattestäbchen, anderen Alltagsmaterialien und tausenden von Bergkristallen (die meinen Mineraliensammler teilweise vor Neid erblassen lassen, obwohl er gar keinen Quarz sammelt) hat der Künstler den Raum in das kristalline Innere einer Druse verwandelt und verlangt, dass niemand zur Transparenz gezwungen werden kann und jeder das Recht auf Opazität hat. Hm - stand nicht in einem der anderen Pavillons, dass Freiheit nur sehr gut ausgeleuchtetes und damit gewissermaßen transparentes Chaos sei??

Der deutsche Pavillon war innen wie eine Medienzeitalterkirche gestaltet - gab bestimmt welche, die mindestens innerlich Sakrileg! gerufen haben -, und in den beiden Seitenflügeln wurde in memoriam Christoph Schlingensief allerhand von ihm und über ihn projiziert. Wusste gar nicht, dass der auch so ein Fitzcarraldo-Projekt hatte, bloß nicht am Amazonas, sondern in Burkina Faso. - Im großen Pavillon mit den Ausstellungsräumen war Deutschland unter anderem noch mit dem 2010 verstorbenen Sigmar Polke vertreten, der uns besonders mit seinem "Polizeischwein" begeisterte. Oink!!

Zwischendurch hörte man dann immer mal einen furchtbaren Lärm - vor dem Pavillon der Vereinigten Staaten von Amerika lag ein Panzer auf dem Rücken, dessen Ketten zumindest gefühlt mit einem Laufband verbunden waren, und dann kamen immer mal Läufer mit Sonnenbrille und Sportdress, die der Leibesertüchtigung huldigten und dabei die Ketten in Bewegung setzten (wohl mit kräftiger Unterstützung eines Motors). Komischerweise hatten die Läufer gar keinen Gehörschutz, und da hing auch kein Schild "Listening to these sounds without ear protection may harm your audition" oder so ähnlich. Der Bankautomat mit Orgelverbindung gleich nebenan war auch nicht gerade gehörschonend …

Ja, und so haben wir dann eins nach dem anderen angesehen. Eigentlich wollte ich ja gern hinterher noch mit dem Vaporetto durch den Canal Grande schippern, aber mangels Ticketbude an den Giardini ging das nicht. Seltenfahrer werden hier echt bestraft. Sowas Blödes! - Statt dessen sind wir auf der Via Garibaldi etwas trinken gegangen, und es ging wieder so wie fast immer: man sitzt ahnungslos da und hat es sich gemütlich eingerichtet, schwupp! kommen wieder irgendwelche Deutschen und nehmen vom Nachbartisch Besitz. In diesem Fall ein Paar nach dem Biennale-Besuch. Er: Jetzt habe ich wieder einen guten Überblick über die internationale Kunstszene. Sie: So? Und wie ist die? Er: Viel Konzeptkunst. Sie: Oooach, das ist doch nichts Neues. Usw. usf.

Ich aber bleibe dabei: diese ganzen Videoinstallationen werden deutlich überschätzt. Beeindruckend war nur eine im Arsenale-Teil, die ich wohl zu erwähnen vergaß. Das war die Collage aus Filmschnipseln, die sich mit Zeit und Uhren beschäftigen. Die decken wohl mindestens den Zeitraum 10 bis 18 Uhr ab und laufen in Echtzeit, das heißt die Punkt-ein-Uhr-nachmittags-Szene des Films wird auch um Punkt ein Uhr projiziert. Ich stelle mir die Herstellung dieser Collage sehr aufwändig vor. Wie findet man denn diese ganzen Uhrguckszenen, und vor allem für so unspektakuläre Zeiten wie 14:37 Uhr???

Auf dem Rückweg fuhr dann kein Kreuzfahrtschiff ein, sondern aus - dieses war noch größer als das heute Morgen: die Queen Victoria. Ach nein, irgendwie reizt mich der Gedanke an eine Kreuzfahrt aber so etwas von überhaupt nicht …

Davon abgesehen ist heute unser letzter Abend. Also gehen wir, als im Museo Correr die Fensterläden zugeklappt werden, noch ins Café Florian, das älteste auf dem Markusplatz. Seit 1790. Da war Rosa Salva von 1879 gestern bei San Zanipolo ja gar nichts! Die Preise konnten in den letzten gut 200 Jahren natürlich zu stattlicher Größe heranwachsen. Wie bestellen zwei Kaffeespezialitäten des Hauses, nicht ohne vorher von einem blasierten Kellner darauf hingewiesen worden zu sein, dass man hier pro Person 6 Euro Orchesterzuschlag zahlen muss. Ja wie gezz?! Und ich dachte immer, die Getränke wären so teuer, weil die Live-Musik mit eingepreist ist. Wir sitzen dafür die ganze blaue Stunde über da und können beobachten, wie das Licht des Tages dahinschwindet. Es gibt noch ein paar schweinsrosa Schäfchenwolken am Himmel, dann wird es blau, die Lichter gehen an. Sieht schon toll aus. Dann zahlen wir unsere 34,50 € und gehen zurück zum Hotel.

Wir essen heute gleich nebenan in der Taverna La Fenice - nicht günstig, aber recht gut und vor allem sehr aromatisch. Man kann von den meisten Gerichten eine halbe oder eine volle Portion bestellen - gute Einrichtung. Wir sind es jedenfalls zufrieden.

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