Freitag, 16. September 2011

Freitag, 16. September 2011: Das ist Pauls Kreuz! San Polo und Santa Croce

Am nicht mehr ganz so frühen Morgen - ich musste erst noch eine halbe Stunde im Reiseführer lesen - machen wir uns auf Richtung Rialtobrücke, denn wir wollen den anderen Kernbereich der Stadt erkunden. Nicht das Sechstel San Marco, sondern das Drittel San Polo und Santa Croce - oder ist Kürzen hier unzulässig? Oder, um es in Shanghaier Begriffen auszudrücken: da wäre der Canal Grande der Fluß (Huang)Pu, wir wohnen in PuDong (östlich des Flusses), und wollen PuXi (den Stadtteil im Westen) besuchen.

Gleich hinter der Rialtobrücke, die irgendwie überhaupt kein Flair hat, liegt die angeblich älteste Kirche der Stadt. Ganz klein, mit einer Kuppel und einem simplen Vordach auf alten Säulen. Vergleichsweise "intim", aber auch nicht so richtig - da können die venezianischen Kirchen nach meinem Geschmack mit den romanischen (von der Dorfkirche bis zu den Resten von Cluny) einfach nicht mithalten. Und was die Brücke betrifft: außen die übervollen Treppen mit den von Abermillionen Touristen glattpolierten Steinquadern als Geländer, die leicht abgewrackten Bretterrückseiten der kleinen Ladenbuden, innen die besagten Läden mit dem üblichen Touristenkram. Nicht, dass ich spontan wüsste, wie man es besser machen könnte - aber dafür könnte die Stadt ja mal einen Ideenwettbewerb ausschreiben: Gebt der Rialtobrücke eine neue Seele!

Wir streifen durchs Sechstel. Es ist ziemlich touristisch, außerdem scheint es hier eine Häufung von Schuhgeschäften zu geben. Eins ist auch dabei, in dem es schicke Varietäten von Gummistiefeln gibt. Wieso nur eins? Müsste hier nicht die Welthauptstadt der Gummistiefelmode sein? Wo sonst wäre es so nötig wie hier, schnödes Plastik modisch aufzupeppen? Den Wattwürmern in der Nordsee ist es egal, und den Wildsauen, deren Suhlen inspiziert werden sollen, vermutlich auch … aber wenn man elegant über den (Hochwasser-)Laufsteg trippelt, sollte es ja schon nach etwas aussehen.

Nach diversen Kirchen, Plätzchen, Brücken, Gassen und Kanälen öffnet sich plötzlich der weite Platz San Polo, auf dem es leider nur zwei oder drei schattige Bänke gibt, die natürlich alle besetzt sind. Da bleibt uns nur der Sitzplatz mit Getränk, was ja auch nicht schlecht ist, denn es ist heute wieder heiß und schon fast Mittag. Angeblich ist dieses der größte Platz in Venedig, wo früher Bärenhatzen (!!) und andere Volksbelustigungen veranstaltet worden seien - aber wenn da erst Volk drauf ist, bleibt ja nicht mehr viel Raum für Bären, geschweige denn fürs Hetzen.

In der namengebenden Kirche des heiligen Paul entschließen wir uns dann doch, den "Chorus Pass" zu erwerben. Eintritt in 16 kostenpflichtige Kirchen für 10 Euro pro Person - das erscheint ja sehr akzeptabel, wo es einzeln immer gleich leicht unverschämte 3 Euro sind.

Unser wichtigster Programmpunkt heute sind die Frari-Kirche (eigentlich: Santa Maria Gloriosa dei Frari) und, gleich gegenüber, die Scuola Grande di San Rocco. Unterwegs kommen wir an einem reiseführerempfohlenen Schokoladenladen mit dem schönen Namen Laster Tugend (vizio virtù) vorbei. Im Schaufenster stehen lauter wärmeempfindliche Kleinkunstwerke zu meist nicht genannten Preisen - wir widerstehen tapfer. Gegenüber gibt es einen Laden für Gondel-Rudergabeln; das ist auch ein Thema für sich, aber das Widerstehen ist so unendlich viel leichter als bei der Schokolade … Die Rudergabeln (ital.: forcole, als Gäbelchen) sind komisch geformte Holzteile, traditionell wohl aus Walnußholz, die es erlauben, auf "tausend" Arten das eine Gondel-Ruder anzulegen, was zusammen mit der schiefen Konstruktion der Boote (viiiiiel schiefer als gedacht, wenn man mal genau hinschaut) erlaubt, mit nur einem Ruder geradeaus zu fahren und ein superwendiges Gefährt aus der doch recht großen Gondel zu machen.

Erfreulicherweise gilt der Chorus Pass auch für die riesengroße Frari-Kirche, die neben zwei (schrecklichen) Mausoleen für Tizian und Canova auch mehrere Dogengräber und natürlich jede Menge Gemälde enthält. Das berühmteste: Mariens Himmelfahrt, 3,90 mal 6,90 Meter, auf dem Hochaltar. Zu seiner Zeit wohl ein Skandal, heute ziemlich entrückt (buchstäblich) und nicht mal per Foto greifbarer, denn Fotografieren ist schon wie in fast allen Kirchen verboten. - Der weite, hohe gotische Raum mit edlem Chorgestühl ist schon recht beeindruckend.

Gegenüber, in den Räumen der Rochusbruderschaft, dominiert Tintoretto. Trotzdem erscheinen mir die Räume fast eher be- oder gar erdrückend denn be-ein-druckend, was daran liegen mag, dass sie insgesamt sehr dunkel sind.

In San Stae (eigentlich: San Eustachio) befindet sich eine weitere Kunstinstallation, oder genauer: zwei. Bienenstock und Schicksalstrommeln, oder so ähnlich. Mich beeindruckt aber das namenlose Grab mitten in der Kirche mehr. Außer Totenkopf mit gekreuztem Knochenpaar ist rechts und links der Grabplatte je ein sensenschwingendes Skelett als Marmoreinlegearbeit deutlichster Hinweis auf die Vergänglichkeit, und die lateinische Grabinschrift besagt: Name und Asche wurden zusammen mit der Eitelkeit (vanitas) begraben.

Vor San Stae gibt es weitere Eiermosaiken (s. Bericht über den ukrainischen Pavillon), und daneben noch eine Ausstellung mit drastisch-unverständlichen S/W-Fotos eines taiwanesischen Künstler: Das Festmahl des Chun-Te.

Dann machen wir uns so langsam auf den Rückweg, denn für heute Abend haben wir Konzertkarten. Es gibt im Wesentliche Vivaldis vier Jahreszeiten und als Dreingabe noch ein paar von den Loussier'schen Baroque Favorites, so Albinonis Adagio und Pachelbels Kanon. Aber davon vielleicht separat mehr, jetzt muss ich schlafen.

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