Montag, 20. September 2010

Dienstag, 14. September 2010: Unendliche Weiten und eine beinahe endlose Allee

Trotz herrlichen Wetters verbringen wir den Vormittag in der Cité de l'Espace. Führungen durch die Airbus-Produktion gehen nämlich nur mit Voranmeldung einen Monat im Voraus, hieß es - so war der Raumfahrtpark das Alternativprogramm. Schließlich ist Toulouse ein wichtiges Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Eine Tatsache, der wir auch in unserem Programm Rechnung tragen wollten. Für mich ist das aber dann doch nicht sooo interessant - aber das dürfte eine tolle Etappe für Leute mit Kindern sein. Viele Mitmachsachen. Mir gefällt am ehesten noch die Sektion über Leben im All. Und ich bin von Mir, Kvant und Kristall beeindruckt. Man kann durch diese Dinger durchgehen, die ähnlich geräumig sind wie ein U-Boot. Wahre Leukoplastbomber, kaum vorstellbar, dass man damit wirklich sicher aus der Atmosphäre ausbrechen kann! - Wir sehen uns auch den 3D-Film über die Reparatur von Hubble an. Einige der Effekte sind so dick aufgetragen, dass sogar ich sie sehen konnte. Der Originalkommentar wird von Leonardo di Caprio gesprochen - also zwei Reißerpunkte, die offenbar ein ordentliches Drehbuch und vernünftige Regiearbeit überflüssig machen. Jedenfalls hat man es nicht geschafft, eine zugleich informative und spannende Geschichte zu erzählen, obwohl doch der Stoff dazu bestimmt zu sein scheint. Na, egal. Mir gefällt dafür das mustergültig gesponnene Netz mit Trichtereffekt, das eine Spinne am Fuß des Ariane-Modells angebracht hat.

Den wunderbar warmen und sonnigen Nachmittag verbringen wir mit einem Ausflug durch die Ebene des Lauragais, dem Verlauf des Canal du Midi folgend. Sein Bau war ein großes Infrastrukturprojekt im 17. Jahrhundert; ein gewisser Pierre-Paul Riquet war sowohl Projektsponsor als auch Projektleiter. Mit dem Kanal wurde eine Wasserstraße vom Mittelmeer zum Atlantik komplettiert. Die Freizeitschipper danken es noch heute, denn wer es ruhig und grün mag, ist mit einer Kanaltour bestens bedient. Der künstliche Fluss ist rechts und links von Platanen gesäumt, deren eigentlicher Zweck es war, die Verdunstung des Kanalwassers in der heißen südlichen Sonne zu verringern. Die Leistung von Riquet war auch nicht, den kühnen Gedanken einer Verbindung von zwei Meeren zu haben - davon hatten die Leute hier schon viel früher geträumt -, vielmehr war er derjenige, dem es mit aufwendiger Wasserbau-Ingenieurskunst gelungen war, eine nachhaltige Wasserversorgung des Kanals sicherzustellen. Und nicht nur die Schipper können jetzt den angenehm beschatteten Verkehrsweg genießen, es gibt auch einen gut ausgebauten und markierten Radweg, der von dieser beinahe endlosen Allee profitiert.

Aber wir fahren ja schnöde mit dem Auto von Ort zu Ort, und unser erstes Ziel heißt Montgiscard. Das Nest auf einer Anhöhe besitzt eine wehrhaft wirkende Kirche mit einer dieser typischen Backstein-Angebe-Fassaden, die viel höher und mächtiger sind als der weit bescheidenere Kirchenbau dahinter. Offen in der Fassade hängen auch die Glocken, in diesem Fall sechs, schutzlos Wind und Wetter ausgeliefert - die armen! Auf der fast völlig schmucklosen Fassade prangen zwei Backsteinreliefs, eins mit einer Telge (oder sonst einem stilisierten Baum) und eins mit der Jungfrau Maria. Ganz an der Seite zeigt eine eher einfache Uhr nur aus Ziffern und Zeigern bescheiden die Zeit an.

Der nächste Ort heißt Ayguesvives - die lebendigen Wasser, also gewissermaßen ein Pendant zu Aiguemort (oder heißt der Aiguesmortes??) in der Camargue. Dieses Nest hat ein sehr hübsches Ensemble aus Schloss-Rathaus, Marienstatue, Gefallenendenkmal, schmiedeeisernem Kreuz und Backsteinkirche mit Kastanienbäumen. In der sonnig-warmen, frühherbstlichen Nachmittagsruhe - die Kastanienblätter werden schon braun - wirkt alles sooo friedlich.

In Montesquieu-Lauragais, dem nächsten Etappenziel, gibt es ein großes Renaissanceschloss, das allerdings mit den (vermutlich) Speicherhäusern und anderen Wirtschaftsbauten eher wie ein nobler Großbauernhof mit schickem Wohnhaus wirkt und wohl auch heute noch so genutzt wird. Jedenfalls ist es in Privatbesitz. Gegenüber liegt eine der typischen Kirchen.

Danach führt unsere Franzi uns nach nirgendwo. Mitten auf dem freien Feld behauptet sie, wir seien am Ziel. Wie denn, wo denn, was denn?!! Wir finden aber trotzdem nach Avignonet-Lauragais - die blassockerne Natursteinkirche leuchtet gegen den blauen Himmel und weist uns selbst den Weg. Nach den ganzen Backsteinkirchen ist dieser Bau eine echte Abwechslung, ansonsten aber nicht sehr bemerkenswert. Eine Tafel erinnert an ein Massaker zu Zeiten der Albigenserkriege. Ich glaube, hier haben "katharische Partisanen" eine Gruppe von Gesandten der offiziellen Kirche mehr oder weniger im Schlaf hingemeuchelt (oder sollte es andersherum gewesen sein??). Eine Eskalation, die wohl mit zum harten Vorgehen beim Sturz von Montségur beigetragen hat. Wer Gewalt sät …

Unser nächster Halt heißt Montferrand - oben auf einem länglichen Hügel liegen eine verlassene Kirche, eine ganz und gar nicht verlassene Kapelle, eine Orientierungstafel mit Pyrenäenblick und ein Leuchtturm. Viele Schmetterlinge und andere Insekten scheinen die Wärme des Spätsommernachmittags voll auszukosten. Aber der Reihe nach: Die Kapelle befindet sich in einem Natursteinhaus und hat schöne große Fenster, durch die man Blick und Gedanken in die weite Landschaft mit Feldern und Wäldern schweifen lassen kann. Eine stilisierte Marienfigur aus Fenstermalfarben ziert ein schmales Fenster neben dem Altar. Das sieht nach sehr lebendigem Gemeindeleben aus, obwohl es hier doch nur ein paar Seelen geben dürfte. - Die Orientierungstafel ist nicht sehr gut gezeichnet, aber zum Glück wollen wir es ja gar nicht so genau wissen. Die Pyrenäen zeichnen sich als Schattenrisskante in der Ferne ab. - Am interessantesten ist eigentlich der alte Leuchtturm. Die werten Leser mögen sich schon gewundert haben: wieso Leuchtturm? Beim Befahren eines Kanals kann man doch wohl kaum vom Weg abkommen?! Des Rätsels Lösung: er war gar nicht für die Bootsleute gedacht und gemacht, sondern zur Unterstützung der mutigen oder vielleicht manchmal auch tollkühnen Piloten wie Antoine de Saint-Exupéry, die die ersten Nachtflüge von Toulouse nach Dakar und bald darauf auch nach Santiago de Chile unternahmen. Eine ganze Reihe dieser Türme gab es früher, und jeder hatte seinen eigenen Buchstaben, den er als Lichtsignal morste. MontferRand hatte das R. Die Anzündezeit wurde dem Leuchtturmwärter gekabelt.

Von der Orientierungstafel haben wir schon Riquets Obelisken ausgemacht, der unser letztes Ziel markiert: die Schwelle von Naurouze. Den Obelisken haben Riquets Nachfahren zu seinem Ruhme auf ein paar Natursteinblöcken aufgestellt. Das eingezäunte Areal drumherum ist heute von eleganten Zedern umgeben. Auf dem Feld davor wachsen, etwas überraschend, - Sojabohnen! Auf der anderen Seite des mit Wohnmobilen überfüllten Parkplatzes geht es zu diesem kritischen Punkt, an dem vor Riquet alle Träume zerplatzt waren: der besagten Wasserscheide von Narouze. Hier fließt jetzt das Wasser aus der Montagne Noire in den Kanal und versorgt beide Seiten. Um das zu erreichen, hatte Riquet nicht nur den Hauptkanal bauen müssen, sondern auch zahlreiche Zuführungskanäle, Sammelbecken, Absperrungen, Überläufe, Schleusen et cetera pp - eben ein wasserbautechnisches Gesamtkunstwerk, an dem wohl 12.000 Menschen 14 Jahre lang gearbeitet haben. Aber so richtig viel zu sehen gibt es eben nicht. Zuführungskanäle, Sammelbecken, … - ich erwähnte es schon. Und überall ist auch nach dem heißen Sommer noch genug Wasser drin, um friedlich in ausreichender Menge in den Hauptkanal zu fließen. Wir können einen Freizeitschipper bei seiner Durchfahrt durch die sogenannte Ozean-Schleuse beobachten. Die Schleusen waren alle standardisiert, mit ovalen Becken von festgelegten Ausmaßen.

Auf der Rückfahrt steigen wir noch kurz in St-Rome aus. Das ist auch so ein Landschloss mit Wirtschaftsgebäuden. Es ist recht originell, aber seine Bewohner scheinen den Guide Michelin zu verfluchen - Besucher sind nicht nur zu der Unzeit, zu der wir aufkreuzen, offenbar unerwünscht. Die Gebäude sind teils mit Fliesen, teils mit Stein- oder Kieselpaneelen geschmückt, haben geschnitzte Balken, vorkragende Dächer, von einer anderen Seite erinnern getrimmte Eiben und spitze Giebel an Mr Herberts Anwesen aus Greenaway's "Kontrakt des Zeichners". Das schmiedeeiserne Eingangstor ist nicht nur abgeschlossen und mit einem Bügelschloss verriegelt, dahinter liegt auch eine dicke Steintonne, die wohl auch einem Panzer unmissverständlich die Du-bist-hier-unerwünscht-Botschaft vermittelt.

Danach fahren wir direkt (und für Geld) nach Toulouse zurück und speisen auf der Terrasse von 7, place St-Sernin - so nicht nur die Adresse, sondern auch der Name des Restaurants. Das Essen ist nicht schlecht, aber auch nicht super - aber der Sonnenuntergang, der die Ziegelbasilika in heftiges Rot taucht, gleicht die kleine Schwäche speziell des Hauptgangs mühelos aus. Und das Verbenensorbet zum Nachtisch war seeehr lecker!

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