Wir haben den Tag heute gleich wieder an und in St-Sernin beginnen lassen, wenn man mal vom Frühstück absieht. Der portionsweise verpackte junge Cantal wurde mit den Worten "großer Käse für große Ideen" beworben … hm. Womöglich lässt sich das Ergebnis kurz mit "Ihre Idee ist wirklich großer Käse" zusammenfassen?! ;-))
St-Sernin zeigt vormittags seine Schokoladenseite, die Chorpartie, im besten Licht. Unter heute wolkenlosem blauen Himmel sieht das einfach umwerfend aus. Ich habe mir auch Zeit genommen, das romanische Portal Miégeville zu studieren und das Vorportal aus dem 15. (?) Jahrhundert. Spannend auch die Bilder von vor und nach der Absenkung des Bodenniveaus auf dem Kirchplatz um einen ganzen Meter! Vorher machte das Portal eher den Eindruck eines zwar sehr prachtvollen, aber fromm und demütig zu durchschreitenden Kircheneingangs, während es jetzt definitiv eher ein Triumphbogen ist. - Im Inneren habe ich mich heute vor allem auf die Raumwirkung konzentriert und nebenbei vorn links noch den heiligen Exuperius entdeckt. Und ich hatte immer gedacht, das sei nur ein Name …!
Dann haben wir den schon bekannten Weg durch die Rue du Taur genommen, die an den Stier erinnert, dem der heilige Saturninus = Sernin sein Martyrium verdankt. Der Rathausplatz hat morgens, wenn die Front des Capitolium noch im Schatten liegt, keinen großen Reiz. Also weiter zu den Jakobinern, deren Konvent hier inmitten von Gebäuden der Schule liegt, die nach dem berühmten Mathematiker Fermat benannt ist.
Man betritt die eher riesige zweischiffige Halle von der Seite. Der Raum wirkt sehr hoch und wird von der Sonne kirchenfensterbunt illuminiert. Das Sahnestück der gotischen Halle ist das Chorgewölbe, dessen Hauptsäule mit den daraus "hervorwachsenden" abwechselnd dicken und dünnen Rippen auch als "die Palme" bekannt ist. Hier ist jemand auf eine ganz findige Idee gekommen: in Hüfthöhe bietet ein Spiegelring von bestimmt zwei oder zwei Metern fünfzig Breite rund um die Hauptsäule nicht nur schluckbeschwerdenfreie, sondern auch ganz neue Betrachtungsmöglichkeiten.
Danach haben wir uns eine halbe Ewigkeit im Kreuzgang aufgehalten, ganz ohne Rücksicht auf den Feierabend irgendwelcher Fremdenführer/innen. Da gab es alles, was man so braucht: eine tolle Atmosphäre, Ruhe, eine Toilette, warmen Sonnenschein, sehenswerte Fresken in der Antonius(?)kapelle, Grünzeug, Ausblick - und dann noch Klaviermusik der Konzertklasse, gratis! Seit ewigen Jahren wird im September ein Klaviermusikfestival abgehalten, das nach dem Haupt"austragungsort" Le Piano aux Jacobins heißt. Im Kreuzgang sind auch die Plakate der vergangenen Ausgaben ausgestellt. Der Champagnerausschank ist im Moment noch nicht im Betrieb, aber die Musik perlt ganz ohne Alkohol oder Kohlensäure vom Flügel, auf dem sich der Künstler vor leeren Stuhlreihen im offenen Kapitelsaal vermutlich für die Abendvorstellung einspielt. Vielleicht war es auch eine Künstlerin, die da ein großes Repertoire an romantischer Musik ganz ohne irgendwelche Gedankenstützen spielt.
Wir können uns nur schwer losreißen, gehen aber dann auf der Place du Capitole einen teuren, aber nahr- und schmackhaften Salat essen. Lokalitätenaufschlag, denke ich. Danach erkunden wir die Hauptachse der alten Stadt: die Fortsetzung der Rue du Taur. Jenseits der Place du Capitole heißt sie Rue St-Rome oder Rue des Changes, glaube ich, und ist von Geschäften aller Art gesäumt. Wir tun uns ein bisschen schwer, das Hotel d'Assézat zu finden - aber am Ende kann uns dieses schöne Renaissance-Stadtpalais nicht "entkommen". Es stammt aus der goldenen Zeit der Stadt, die eigentlich blau war, denn der Reichtum der Kaufleute stammte vom "Pastel", dem blauen Farbstoff aus dem unscheinbaren Färberwaid, der wohl auch irgendwo in Thüringen angebaut wurde. - Das Museum (Fondation Bemberg), das sich heute die Räume des Palastes mit mehreren Akademien teilt, hat allerdings geschlossen, es ist ja Montag. Also gehen wir zum Flussufer, es ist heiß und sonnig, wenn man aus dem Schatten der Straßenschluchten tritt.
Wir passieren eine mit Monumentalgrazien dekorierte Marmorfront - die Schule der schönen Künste. Gleich daneben liegt die einem Tempel nachempfundene Front von Notre-Dame-de-la-Daurade. Mit Marmorsäulen und Dreiecksgiebel, aber der Eingang ist wohl nur für besondere Anlässe gedacht. Er scheint lange nicht benutzt worden zu sein. Die Kirche gibt es schon sehr lange; sie steht am alten Garonnehafen und ihre Patronin sollte den Bootsleuten bei ihren gefährlichen Flusstouren beistehen. Der heutige Bau ist allerdings noch keine 100 Jahre halt, total dunkel und wenig ansprechend. Die Madonna erfreut sich aber wohl auch heute noch großer Beliebtheit. Früher haben die Bürger von Toulouse bei großen Katastrophen und schlechten Zeiten immer von der geistlichen Leitung des Konvents eine Marienprozession erbeten, um die Beschwernisse zu lindern. Wenn ich mich recht entsinne, trägt die schwarze Madonna einen großen weiten weißen Mantel mit bunten Schleifen und "wohnt" auf einem weiß-blauen Keramikaltar, so dass sich das Ensemble wohltuend hell und freundlich von der Finsternis des düsteren Raumes abhebt. Und nein, sie ist nicht nach einem schmackhaften Speisefisch benannt, diese Madonna. Vielmehr heißt "daurade" nichts anderes als "dorata" = vergoldet, denn so war das Mosaik, das einen der Vorgängerbauten zierte.
Als wir mit der Kirche fertig sind, bedürfen wir erstens einer Toilette und zweitens eines Getränks und suchen daher das Café des Artistes ganz in der Nähe auf. Die Kunden scheinen da eher Lebenskünstler zu sein - aber das sind ja, wie der Name schon sagt, auch Künstler. Apropos Toilette: der Mangel an öffentlichen Toiletten wird mit ziemlich penetranten Gerüchen quittiert - in Toulouse scheint so ungefähr jede Ecke eine P<hmhmhm>ecke zu sein. Scheußlich!
Nach der Kaffeepause (ganz ohne Kaffee, die Temperaturen waren so, dass nicht mal mir das Getränk mit Eiswürfeln zu kalt war) spazieren wir am Flußufer entlang, das mit warmen Steintreppen und Rasenstreifen bei Studenten und anderen Leuten offenbar sehr beliebt ist. Wir klüngeln dort auch ein wenig herum - genial, wenn man das kann! Dann schicken wir uns an, die Brücke zu erklimmen, denn wir wollen einmal das andere Ufer erkunden. Unterwegs fällt uns ein großes Plakat auf: Manifesto. Aha, da gibt es eine Fotoausstellung in diesen Containern, die da im unvollständigen Halbkreis auf einer Leerfläche vor den Flutmauern am Ufer stehen. Hingehen, anschauen! Gar keine schlechten Ideen! In besonderer Erinnerung: die Fotoserie aus Kirchendisney, wie ich Lourdes ja immer zu nennen pflege, die Sehenswürdigkeitenbilder mit den groß und breit ins Bild gerannten Passanten (hier hat also der Künstler aus der Not, die bei manchen mir bekannten Personen schlimme Zornanfälle hervorruft, eine Tugend gemacht ;-)) ), die Selbstporträts im Spiegel - mit Spiegeln zum Mitmachen und vor allem die An-der-Wand-Schläfer, bei denen die Künstlerin ihre Modelle aufgefordert hat, mit Kopfkissen und geschlossenen Augen vor einer Wand einen Luftsprung zu machen, den sie dann im entscheidenden Moment mit der Kamera eingefangen hat.
Wir kommen am Hôtel-Dieu vorbei, einem in seinen Ursprüngen mittelalterlichen Krankenhaus, und am "Wasserschloss" (= Château d'eau), wie die Franzosen ja etwas so Profanes wie einen Wasserturm bezeichnen; dann geht es über den Pont-Neuf zurück, die trotz ihres Namens älteste Brücke der Stadt aus der Mitte des 16. Jahrhunderts.
Abends essen wir im Restaurant Le Colombier - sehr netter Speisesaal mit Ziegelwand, riesigem Schlemmergemälde, nostalgischen Bodenfliesen und behutsamen modernen Akzenten - ein Menu Régional: Cassoulet mit Salat und eine Art Apfelstrudel zum Nachtisch. Nein, dieses Bohnengericht mit Wurst, Entenkeule und diversen anderen "Schweinereien" ('tschuldigung) wird sicher nicht mein Leibgericht, aber man kann es essen - und meiner Meinung nach MUSS man es einmal essen, wenn man in dieser Gegend ist.
Samstag, 18. September 2010
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